Appell aus dem Ausreisezentrum Bramsche

Tschetschenische Flüchtlinge aus dem Ausreisezentrum Bramsche-Hesepe, 27.07.2004

Wir haben bereits einen Appell verschickt und zahlreiche Instanzen gebeten, uns angesichts unserer zahllosen Schmerzen zu helfen.
Wie Sie wissen, sind wir schon sehr lange in Deutschland, und wir werden von einem Lager ins andere geschickt, einige von uns schon neun oder sieben Monate lang, und unsere Qualen scheinen kein Ende zu nehmen. Wir kennen unsere Rechte nicht, man gibt uns keine Informationen, außer dass man uns bei der Ankunft hier im Lager gesagt hat, unsere Situation sei ungeklärt.
Wir halten es nicht aus in diesem Lager hinter Stacheldraht, wir befinden uns alle am Rande des Zusammenbruchs.

Warum will man uns nicht verstehen – wir sind doch nicht ohne Grund hierher gekommen! Bei uns ist seit neun Jahren Krieg. Dort sind wir körperlich erniedrigt worden, hier demütigt man uns moralisch. Alle Männer sind von Schwierigkeiten bedroht, wenn sie zurück geschickt werden. Sie können „verschwinden“ oder sie werden vor den Augen ihrer Angehörigen ermordet.
Für uns gibt es keinen Weg zurück.
Jede Nacht in der Heimat war ein Alptraum. Erwachsene und Kinder hatten Angst, den nächsten Morgen nicht mehr zu erleben.
Sie wissen sicher, dass Präsident Kadyrow bei einem Attentat getötet wurde. Wenn man nicht mal einen Präsidenten schützen kann, wie sollen sich dann gewöhnliche Leute schützen?

Wir können beweisen, dass Menschen, die nach Russland abgeschoben worden sind, zu Hause nie angekommen sind. Sie wurden an der Gangway des Flugzeugs von russischen Behörden abgeholt und sind verschwunden. Dieses Schicksal droht auch uns.
Und wenn Sie wie andere Journalisten unsere Kinder fragen, was sie sich für ihr Leben wünschen, werden sie Ihnen antworten, dass der Krieg in Tschetschenien aufhören soll, dass sie in Sicherheit leben wollen, dass sie ein Dach über dem Kopf haben, zur Schule gehen und lernen möchten und ein normales Leben wollen.

Wir möchten von den Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frau Daschajewa berichten. Frau Daschajewa ist mit ihren Kindern über Österreich nach Deutschland gekommen und hat dort, in Österreich, ihre Fingerabdrücke abgeben müssen. Sie ist mit der Hoffnung hierher gekommen, bei ihrem Mann bleiben zu können, so dass die Familie nicht weiter getrennt ist. Als sie sich im Lager Oldenburg aufhielt, wurde entschieden, dass sie nicht bleiben darf, worüber sie jedoch nicht informiert wurde. Eines Nachts drangen Polizisten in ihren Raum ein und sagten, dass sie nach Österreich zurückgeschickt wird. Sie ist in Panik geraten, als die Polizisten ohne Vorwarnung begannen, ihre Sachen zusammenpackten und ihr die Ausweisung unter die Nase hielten.
Dann wurden sie und ihre Kinder zum Flughafen gebracht, aber als sie an der Treppe des Flugzeugs in Panik ausbrachen, lehnten die Piloten es ab, sie in das Flugzeug bringen zu lassen.
Während sie in dieses Lager (Bramsche) gebracht wurden, hatten die Kinder großen Hunger und baten um etwas zu trinken. Obwohl die Polizisten vor den Augen der Kinder aßen und tranken, hat man ihnen nichts gegeben. Als der Kleine eine Polizistin fragte, ob sie ihm einen Snickers gäbe und dabei weinte, sagte sie, wenn die Mutter dem Kleinen nicht das Maul stopft, würde sie ihm den Hals umdrehen. So ist man mit ihnen umgegangen.
Um 19 Uhr abends kamen sie hier im Lager an, abgezehrt, erschöpft und völlig verstört.

Als Frau Daschajewa hier dem Sozialdienst und im Haus 10 B davon erzählte, sagte man ihr, dass man hier nicht so mit ihr umgehen würde. Doch es kam noch viel schlimmer. Daschajewa hat der zuständigen Mitarbeiterin gesagt, dass sie einen weiteren Angriff dieser Art nicht aushält, und dass man ihr vorher mitteilen soll, wenn sie es noch einmal versuchen sollten. Auch als sie ihre Duldung verlängern lassen wollte, hat sie deutlich gemacht, dass sie eine solche Abschiebung nicht übersteht und dass sie noch immer unter Schock steht. Wir Frauen wussten alle, dass sie in anderen Umständen war und dass es ihr sehr schlecht ging. Deshalb war auch ihr Mann bei ihr. Sie wollte am nächsten Morgen zum Arzt gehen, doch gerade in der Nacht zuvor drangen wieder Polizisten, eine Übersetzerin und ein Mitarbeiter aus Haus 10 B in ihren Raum ein.
Der Mann erklärte, dass seine Frau nicht in der Lage wäre, mit ihnen mitzugehen. Daraufhin haben sie ihn mitgenommen und in Bramsche auf die Polizeistation gebracht. Frau Daschajewa legten sie Handschellen an. Sie geriet in Panik, die Kinder weinten und fingen an zu schreien. Alle Bewohner des Hauses waren auf den Beinen, es war furchtbar. Als sie anfingen, die Kinder aus dem Haus zu tragen, waren sie ganz blau vom Schreien und vor Angst. Eines der Mädchen lief weg, und obwohl sie hinter ihr hergelaufen sind, konnte sie sich verstecken. Die Mutter wurde im Nachthemd, ohne Schuhe und mit Handschellen aus dem Haus geführt, sie ist ohnmächtig geworden. Die ältere Tochter konnten sie nicht dazu bringen, mitzukommen, denn sie hat so geschrieen, dass sie ganz blau angelaufen ist und wir alle dachten, dass ihr Herz stehen bleibt.
Wegen dieses Tumultes beschlossen die Polizisten abzufahren. Dabei beschimpften sie den Mitarbeiter von Haus 10 B, dass er sie in eine solche Situation gebracht hätte.
Dann wurde für die Mutter der Notarzt gerufen, sie hatte Schmerzen im Unterleib und die Handschellen hatten so starke Spuren an den Handgelenken hinterlassen, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden musste. Die Tochter, die weggelaufen war, haben wir erst am nächsten Morgen in den Büschen gefunden; auch sie hatte Schmerzen im Unterleib und eine Grippe.

Wir können keinen Unterschied darin sehen, wie man mit uns in Tschetschenien umgegangen war und wie man hier mit uns umgeht. Der einzige Unterschied ist, dass die russischen Truppen Masken tragen und den Frauen keine Handschellen anlegen.

Am nächsten Morgen versammelten sich alle TschetschenInnen im Haus 10 B beim Leiter, um über diesen Zwischenfall und unsere Situation im Lager zu sprechen. Als wir ihn fragten, versuchte er das Thema zu wechseln. Als wir die eine oder andere Beschwerde vorbrachten, sagte er, wir sollten uns an seine Mitarbeiter wenden. Wir können nicht nachvollziehen, wofür er eigentlich zuständig ist. Auf die Frage, was das für ein Lager ist in dem wir sitzen, und warum die einen sagen, es sei ein „Abschiebelager“, andere Mitarbeiter, es sei ein „Transferlager“, erhielten wir die Antwort, dass es ein „Wohnheim“ sei. Dabei wissen wir genau, dass das ein Abschiebelager ist, denn sonst wäre Frau Daschajewa nicht hierher gebracht worden: Sie hatte gar keinen Transfer nach Bramsche bekommen. Kurz gesagt, das Gespräch mit dem Chef war eine einzige Enttäuschung.
So werden Menschenrechte verletzt, und Gesetze werden außer Kraft gesetzt, wenn es ihnen passt.

Aber wer übernimmt die Verantwortung für das, was mit dieser Familie gemacht wurde? Was wäre, wenn die Kinder ihre Sprache verloren hätten? Das ist alles vorgekommen bei uns. Was wäre, wenn die Mutter das Kind verloren hätte? Warum macht sich niemand Gedanken über die Konsequenzen? Was haben diese Kinder verbrochen? Sie wollen nur mit ihrem Vater und ihrer Mutter zusammen sein, sie kennen die Gesetze nicht. Lange Zeit haben sie ihren Vater nicht gesehen und sind nur in der Hoffnung hierher gekommen, mit ihm zusammen zu sein – und jetzt sollen sie auseinander gerissen werden.

Nun noch ein paar Worte zu unserer Situation im Lager hier. Wir können Ihnen eine Vielzahl von Beispielen nennen, um die Bedingungen zu beschreiben.
Wir zum Beispiel sind eine Familie mit vielen Kindern; es sind Mädchen und Jungen, auch volljährige, und wir leben alle zusammen in einem Zimmer. Dadurch entstehen peinliche Situationen, bei uns ist das nicht üblich. Wir leben schon monatelang so, und wir wissen nicht, wie lange wir das noch aushalten können. Dieses Lager ist nicht für einen längeren Aufenthalt ausgelegt, die Einrichtung ist dafür nicht geeignet. Das verursacht Stresszustände und hat Folgen, die man gar nicht beschreiben kann. Wenn wir Frauen dass noch irgendwie aushalten können, wie ist das erst für die Männer, denen hier alles genommen wird?

Was haben wir verbrochen, dass wir so leiden müssen. Sind wir etwa daran schuld, dass wir als TschetschenInnen geboren wurden und in Tschetschenien aufgewachsen sind?
Wir sind stolz auf unsere Nation und auf unsere Heimat. Warum müssen wir dafür büßen?

Die deutsche Regierung hat verkündet, dass sie AsylbewerberInnen aufnimmt. Wir haben unsere Angehörigen und Verwandten zurückgelassen und sind hierher gekommen mit der Hoffnung, Ruhe, Hilfe und ein kleines Stück Land zu finden, wo man leben und die Kinder großziehen kann. Diese Hoffnung haben wir verloren.
Das einzige was wir wollen ist, dass diejenigen, von denen wir abhängig sind, uns ein Stück Papier geben wo drauf steht, dass sie es ablehnen uns hier aufzunehmen. Mit großer Enttäuschung und Traurigkeit würden wir versuchen, in einem anderen Land Asyl zu bekommen.

Bramsche, 27. Juli 2004