Redebeiträge der Demo vom 09.12.23

Hier eine Sammlung der Reden der Demonstration „Gegen Rassismus, Antisemitismus und europäische Abschottung“ am 09.12.2023. All of them also in English language.

  1. Rede von No Lager Osnabrück

  2. Rede von den Libertären Kommunist*innen Osnabrückk

  3. Rede von den Falken Osnabrück


Rede von No Lager Osnabrück

In den vergangenen Wochen und Monaten hat die rechte Propaganda gegen geflüchtete Menschen und Migrant*innen auf immer brutalere Weise zugenommen. In Politik, Medien und unserer Gesellschaft im Allgemeinen – überall erleben wir eine entgleisende Debatte über mehr Abschiebungen, mehr Abschottung und sogenannten Grenzschutz. Und schon längst braucht es für solche Schlagzeilen mittlerweile nicht einmal mehr die AfD oder CDU, nein, das machen jetzt alle Parteien!

So hat die Bundesregierung dieses Jahr z.B. der Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (kurz: GEAS) –  eine inhumane Verschärfungen –  zugestimmt. Unsere Innenministerin Faeser feiert das als „historischen Erfolg für eine solidarische Migrationspolitik und den Schutz von Menschenrechten.“ Was eine Scheiße!

Aber schauen wir uns die GEAS-Reform doch mal genauer an, denn so viel können wir schonmal vorweg nehmen: Sie ist weder solidarisch noch schützt sie Menschenrechte!

Was sind die Inhalte dieser Reform? Ein Kernelement dieser Reform besteht darin, dass Schutzsuchende in geschlossenen Haftlagern an den EU-Außengrenzen festgehalten werden dürfen. Diese Inhaftierung ist begründet mit der „Schuld“, dass sie ein Leben in Würde und Sicherheit suchen.

Sie durchlaufen dabei eine beschleunigte Asyl-Vorprüfung, bei der realistisch gesehen kaum Zugang zu rechtlicher und anwaltschaftlicher Begleitung bestehen wird. Das bedeutet, dass nicht mehr individuell die Fluchtgründe überprüft werden – wie es das Menschenrecht auf Asyl eigentlich vorsieht – sondern dass alle, die durch einen sogenannten sicheren Drittstaat gereist sind, ohne individuelle Prüfung aus dem Asylverfahren ausgeschlossen und abgeschoben werden. Abschiebungen in Staaten, die selbst systematisch gegen Menschenrechte verstoßen und in denen fliehende Menschen nicht sicher sind. Es drohen in diesen Ländern willkürliche Inhaftierungen, rassistische Verfolgungen von Schwarzen Migrant*innen und illegale und legale Kettenabschiebungen in das Herkunftsland.

Auch die Versorgungssituation in den geplanten Haftlagern wird allen Prognosen zufolge niemals irgendwelchen Standards genügen können.

Aber noch schlimmer: In sogenannten Krisenfällen darf auch ein „präventiver Grenzschutz“ vollzogen werden. Dann dürfen die ohnehin schon viel zu niedrigen Standards noch weiter abgesenkt werden und Menschen noch schneller und brutaler, ohne eine individuelle Asylprüfung abgewiesen werden. Wo sind wir mit dieser Reform also mittlerweile gelandet? Wer den Ausnahmezustand definiert, kann darüber bestimmen was rechtens ist? Nein! Es gibt internationales Völkerrecht, es gibt die Genfer Flüchtlingskonvention, es gibt mit der Erklärung der Menschenrechte sehr starke Vorstellungen davon was wir tun müssen, um Schutzsuchenden zu helfen.

Also nein, diese Verschärfungen sind kein historischer Erfolg, sondern ein neuer historischer Tiefpunkt der Europäischen Union in Sachen Menschenrechte! Sie bedeuteten einfach nur noch mehr Abschottung, noch mehr Leid, noch mehr Sterben.

Auch auf bundesdeutscher Ebene wird versucht, die Situation für Migrant*innen und Geflüchtete so menschenunwürdig wie möglich zu gestalten. Eine noch brutalere Abschiebepraxis, Abschiebehaft für noch mehr Menschen unter noch schlimmeren Bedingungen, unsinnige Arbeitsverbote und Wohnsitzauflagen, unwürdige Unterbringungssituationen, diskriminierende Praxis in Behörden und Forderungen, dass Geflüchtete unter dem Existenzminimum leben sollen – die Liste könnten wir jetzt noch endlos weiterführen. Immer wieder wird versucht, diese rassistische Politik damit zu rechtfertigen, dass nicht noch mehr Wähler*innen an die extreme Rechte verloren werden dürfen. Die rechte Politik wird dann einfach selbst gemacht.

Fehlender Wohnraum, schlechte Sozialpolitik, fehlende Schul- und Kitaplätze, überlastete Kommunen, überlastete Lehrer*innen, überlastete Pfleger*innen – an all diesem sollen geflüchteten Menschen Schuld sein? Was für eine rassistische Kackscheiße! Hier geht es um Verteilungskämpfe innerhalb eines zutiefst ungerechten Wirtschaftssystem in dem die armen und verletzlichen gegen die noch ärmeren und die noch verletzlicheren Ausgespielt werden.

Was wir brauchen, ist Klassenkampf! Es ist eine soziale Krise, die keine rechten, sondern echte Lösungen braucht. Es wird nur abgelenkt von dem, worauf wir wirklich unseren Fokus richten sollten:

Reiche werden reicher, Arme werden ärmer; Klimaziele nicht ernst genommen und dringend benötigte soziale Investitionen seit Jahren vernachlässigt, um den neoliberalen Sparkurs aufrecht zu erhalten.

Es gibt keine bezahlbaren Wohnungen nicht aus dem Grund, dass Migrant*innen zu uns kommen, sondern weil die Politik immer noch nicht ausreichend in sozialen Wohnungsbau investiert.

Schulplätze fehlen, weil die Politik nicht tut, was seit Jahren gefordert wird.

Kommunen und ihre Infrastruktur sind überlastet, weil sie jahrelang kaputt gespart worden sind und weil wichtige Beratungsstellen und Bildungsprojekte gekürzt werden.

Hier muss doch unser Kampf liegen und das müssen wir in den Fokus rücken – unsere Regierung, die sich gegen unsere sozialen Kämpfe stellt, ist unsere größte Bedrohung. Wir brauchen keine Abschottung, sondern wir brauchen Investitionen in Bildung und Wohnungen und Kommunen. Das würde uns allen zugutekommen.

Es braucht gerade jetzt einen Aufschrei in der Zivilgesellschaft, wir müssen uns wieder stärker organisieren und für uns muss feststehen:

Wir alle zusammen für eine Welt, in der kein Mensch sterben muss, weil er ein Leben in Würde und Sicherheit sucht. Wir alle zusammen für eine Politik und ein System, das die Bedürfnisse und Menschrechte aller Menschen egal welcher Herkunft, Religion oder Hautfarbe in den Vordergrund stellt, Wir alle zusammen in Solidarität mit all denen, die hier durch eine Flucht ankommen, wir alle zusammen für das Recht auf Bewegungsfreiheit für alle, Wir alle für das Bleiberecht für alle. Wir alle für den Abbau von Grenzen!

Und nochmal in aller Deutlichkeit: Wir überlassen diesen Diskurs nicht einer rechten, rassistischen Stimme, wir werden nicht einfach hinnehmen, wie geflüchtete und migrantische Personen sowie POC, Jüd*innen, Sinti*zze und Rom*nja und viele andere Menschen tagtäglich Gefahr und Gewalt ausgesetzt werden; wir alle sind jetzt gefragt, organisiert, aktiv und laut klarzustellen: we are here and we will fight – Freedom of movement ist everybodys right!


Englische Übersetzung
In recent weeks and months, right-wing propaganda against refugees and migrants has become increasingly brutal. In politics, the media and our society in general, we are witnessing a derailing debate everywhere about more deportations, more isolation and so-called border protection. And for a long time now, it hasn’t even been necessary for the AfD or CDU to make such headlines, no, all parties are doing it now!

This year, for example, the German government approved the reform of the „Common European Asylum System“ (CEAS for short) – an inhumane tightening of the system. Our Interior Minister Faeser is celebrating this as a „historic success for a migration policy based on solidarity and the protection of human rights.“ What a load of crap!

But let’s take a closer look at the GEAS reform, because we can say this much in advance: It is neither based on solidarity nor does it protect human rights!

What is the content of this reform? A core element of this reform is that people seeking protection may be detained in closed detention centers at the EU’s external borders. This detention is justified on the grounds that they are „guilty“ of seeking a life in dignity and safety.

They undergo an accelerated preliminary asylum examination, during which, realistically, there will be hardly any access to legal and advocacy support. This means that the reasons for fleeing are no longer examined individually – as the human right to asylum actually provides for – but that all those who have traveled through a so-called safe third country are excluded from the asylum procedure and deported without individual examination. Deportations to countries that systematically violate human rights and where refugees are not safe. In these countries, there is a threat of arbitrary detention, racist persecution of Black migrants and illegal and legal chain deportations to the country of origin.

According to all forecasts, the care situation in the planned detention camps will also never be able to meet any standards.

But even worse: in so-called crisis situations, „preventive border protection“ may also be implemented. The standards, which are already far too low, can then be lowered even further and people can be turned away even more quickly and brutally without an individual asylum check. So where have we ended up with this reform? Whoever defines the state of emergency can decide what is legal? No. There is international law, there is the Geneva Refugee Convention, there are very strong ideas in the Declaration of Human Rights about what we must do to help people seeking protection.

So no, these tightenings are not a historic success, but a new historic low point for the European Union in terms of human rights! They simply mean even more isolation, even more suffering, even more deaths.

At the federal level, too, attempts are being made to make the situation for migrants and refugees as inhumane as possible. An even more brutal deportation practice, deportation detention for even more people under even worse conditions, nonsensical work bans and residence requirements, undignified accommodation situations, discriminatory practices in authorities and demands that refugees should live below the minimum subsistence level – the list could go on and on. Time and again, attempts are made to justify these racist policies by claiming that more voters should not be lost to the far right. The right-wing policies are then simply implemented themselves.

A lack of housing, poor social policy, a lack of school and daycare places, overburdened municipalities, overburdened teachers, overburdened nurses – refugees are supposed to be to blame for all of this? What a load of racist crap! This is about distribution struggles within a deeply unjust economic system in which the poor and vulnerable are pitted against the even poorer and even more vulnerable.

What we need is class struggle! It is a social crisis that needs real solutions, not right-wing ones. It is only a distraction from what we should really be focusing on:

The rich get richer, the poor get poorer; climate targets are not taken seriously and urgently needed social investments have been neglected for years in order to maintain the neoliberal austerity course.

There is no affordable housing not because migrants are coming to us, but because politicians are still not investing enough in social housing.

There is a lack of school places because politicians are not doing what has been demanded for years.

Municipalities and their infrastructure are overburdened because they have been cut for years and because important advice centers and educational projects are being cut.

This is where our fight must lie and this is what we must focus on – our government, which opposes our social struggles, is our greatest threat. We don’t need isolation, we need investment in education and housing and communities. That would benefit us all.

We need an outcry in civil society right now, we need to organize ourselves more strongly again and we need to be clear:

All of us together for a world in which no human being has to die because they seek a life of dignity and security. All of us together for a policy and a system that prioritizes the needs and human rights of all people regardless of their origin, religion or skin color, all of us together in solidarity with all those who arrive here as refugees, all of us together for the right to freedom of movement for all, all of us for the right to stay for all. All of us for the dismantling of borders!

And once again in all clarity: We will not leave this discourse to a right-wing, racist voice, we will not simply accept how refugees and migrants as well as POC, Jews, Sinti*zze and Rom*nja and many other people are exposed to danger and violence on a daily basis; we are all now asked to be organized, active and loud to make it clear: we are here and we will fight – Freedom of movement is everybodys right!


Rede von den Libertären Kommunist*innen Osnabrück

Einem Aufruf zum guten Leben für alle folgen wir doch gerne – denn kleiner Lagecheck warum wir davon gerade weit entfernt sind: Häuser von Jüdinnen*Juden werden mancherorts wieder mit Davidstern markiert. Scholz lässt sich auf dem Spiegel Cover mit ‚Wir müssen endlich in großem Stil abschieben‘ zitieren. In Frankreich macht eine junge Jüdin ihre Haustür auf, wird niedergestochen. An der Haustür prangt danach ein Hakenkreuz. Merz sagt, wir können keine palästinensichen Geflüchteten aufnehmen weil „wir“ genug Antisemiten im Land hätten und meint damit nicht Aiwanger. Aiwanger, der in seiner Jugend antisemitische Flugblätter verteilt hat und heute in einer rechtsoffenen Partei sitzt, ist plötzlich Anti-Antisemitismus Experte. 13 Jährige feiern auf TikTok ihren politischen Erweckungsmoment durch Osama Bin Laden. Nach dem brutalen Terrorakt der Hamas auf Israel am 7. Oktober drehen hier scheinbar alle am Rad. Oder in versöhnlicher wie kürzlich eine Zeitung titelte: ‚Alle sind betroffen. Alle sind enttäuscht.‘ Es stimmt – die einen sind enttäuscht darüber, dass eine Solidarität ausbleibt oder in reflexhafter Gleichgewichtung nur ausgesprochen wird wenn darauf ein ‚aber‘ folgt. Die anderen sind  enttäuscht darüber, dass auch ein in Massen auf die Straßen gehen wenig an der akuten Lage in Gaza verändert und dass antimuslimischer Rassismus mitsamt Repressionen gegenüber migrantisierten Menschen in der BRD rapide ansteigt.

Was stark zu dieser gegenseitigen Enttäuschtheit beiträgt, sind nicht etwa die realen Betroffenengruppen vor Ort sondern jene, die in ihrem Namen eine eigene politische Agenda verfolgen und in dem Stimmgewirr schnell mit den tatsächlich Betroffenen verwechselt werden – die klassischen Strohmänner. Den Betroffenen legen sie noch mehr Steine in den Weg, indem sie den Eindruck vermitteln, die Interessen von Jüdinnen*Juden und die von Muslim*innen seien unvereinbar miteinander bzw. Gegenpole. Gemeint ist damit auf der einen Seite die rassistische Haltung der Abschiebung und Abschottung, die unter dem Deckmantel des Anti-Antisemitismus so tut als wäre muslimischen Menschen, ganz im Gegensatz zu jüdischen Menschen, der Islamismus, Antisemitismus und eigentlich jede reaktionäre Ideologie quasi von Natur aus in die Wiege gelegt worden. Auf der anderen Seite die antisemitische Haltung unter dem Deckmantel des Antirassismus, die Jüdinnen*Juden, ganz im Gegensatz zu muslimischen Menschen, pauschal auf der Seite „der Weißen“, der Herrschenden, der Imperialisten verortet, gegen die gekämpft werden müsse.

Beide Positionen argumentieren essentialistisch, führen Verhalten also auf Geburt, Kultur, Natur etc. zurück und lassen Herrschaftsanalysen bewusst außenvor. Bei der Abschottungsposition ist es offensichtlicher. So wird, um nur ein Beispiel zu nennen, in der Darstellung des Islamismus in Deutschland gerne die Beteiligung der Regierung selbst vergessen. Islamismus gedeiht nicht einfach so. Türkische Gastarbeiter*innen brachten nicht etwa den Islamismus mit in die BRD. Nein, sie begannen sich zu organisieren, sich teilweise mit ihren deutschen Kolleg*innen zu verbünden und zu streiken und waren empfänglich für linke Agitation. Ein Dorn im Auge der BRD, die daraufhin in den 70er Jahren stark mit islamistischen und türkisch-nationalistischen Verbänden kooperierte, welche eben diese Strukturen zerschlugen und Mitglieder anwarben. Sehenden Auges wurde hier eine Agenda durchgesetzt, die emanzipatorische Migrant*innen und Jüdinnen*Juden von Anfang an gefährdete, nur um 40 Jahre später unter dem Vorwand von ‚importiertem Antisemitismus‘ rassistische Abschottungspolitik durchzusetzen. Zu gleichen Teilen wie Muslim*innen hier als kollektiv nicht-zugehörig gemalt werden, werden Jüdinnen*Juden als kollektiv zugehörig, weil westlich und weiß, gemalt. Auch das entbehrt jeder Faktengrundlage. 80% der jüdischen Gemeinden in der BRD stammen aus der ehemaligen Sowjetunion, erleben anti-osteuropäischen Rassismus und Antisemitismus gleichzeitig, leben überproportional in Altersarmut. Auch sephardische Jüdinnen*Juden, oft mit einer Migrationsgeschichte aus nordafrikanischen Ländern, wehren sich vehement gegen diese Homogenisierung als ‚weiß‘ – sowohl vonseiten dener, die aus ihrem eigenen Rassismus heraus auf der Seite einer vermeintlich weißeren Gruppe stehen wollen, als auch derer, die sich genau deshalb dagegen positionieren.

Auch eine Herrschafts/ bzw. Klassenanalyse der Betroffenengruppen bleibt zwangsläufig bei Antisemiten und Rassisten aus: Unerwähnt bleibt, dass noch am 6. Oktober Umfragen aus Gaza zeigen, dass 67% der Bevölkerung der Hamas wenig bis gar nicht vertrauen, dass Anti-Hamas Demonstrationen in Gaza regelmäßig gewaltsam unterbunden werden müssen, dass umliegende arabische Staaten widerum palästinensische Geflüchtete gänzlich im Stich lassen und als politischen Faustpfand unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern halten, dass kurz nach dem Angriff israelische und palästinensische Frauen gemeinsam auf die Straße gingen, dass Israelis seit Monaten in Millionen auf die Straßen gehen um gegen die rechte Regierung zu protestieren. Klassen gibt es in dieser Gesamtheit sowieso nicht. Sonst müsste man ja auf Menschen in Israel hören, die sich gegen die Korruption ihrer Regierung wehren. Auf Menschen in Gaza hören, die sich eben auch gegen die Korruption der Hamas und der PLO wehren, dagegen dass die Hamas gelegte Wasserleitungen aufgräbt um nach Anleitung des Iran Waffen draus zu schmieden und internationale Gelder veruntreut statt das Überleben der Zivilbevölkerung zu sichern. Letztere Positionen kommen auch bei einem Antisemitismus im Gewand des Antirassismus zu kurz. Denn weder Rassisten noch Antisemiten passt das so richtig in den Kram. Beide hätten lieber eine nationale oder religiöse, homogene Gesamtheit, die man als Ganze im Falle der einen abwerten, im Falle der anderen, zu Helden erklären kann.

Antifaschistische Praxis bedeutet für uns, hervorzuheben, dass es sich hier nicht einfach um einen ’natürlich‘ gewachsenen Glaubenskrieg handelt, dass antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus sich nicht einfach darin unterscheiden, gegen wen sie sich jeweils richten, sondern von ihrer Grunddynamik des nach unten und vermeintlich ’nach oben‘ Tretens. Sie sind zwei Seiten einer bürgerlich-faschistischen Medaille. Nicht umsonst ähneln sich faschistische Verschwörungsideologien, früher die des ‚jüdischen Bolschewismus‘ oder heute des ‚großen Austauschs‘, darin, dass sie gegen eine rassifizierte Gruppe treten, die eine westliche Gesellschaft vermeintlich unterwandert und gegen eine antisemitisch kodierte Gruppe treten, die diese Unterwanderung vermeintlich orchestriert. Aktuell taucht dieses Sündenbock- und Verschwörungsnarrativ auch in Form von vermeintlicher Israelkritik oder der Annahme, Israel hätte Deutschland wegen ‚german guilt‘ im Würgegriff, auf. Abgesehen davon, dass das stark an die faschistische Schlussstrichdebatte erinnert: Wenn Germany sich seit jeher guilty fühlen würde, wäre es damals keine Verbindung mit dem Islamismus gegen den gemeinsamen Feind Kommunismus eingegangen, würde eventuell nicht nach wie vor Geschäfte mit dem Iran machen, der die Hamas ausstattet und anleitet, oder mit der Türkei, deren Autokrat offen die Hamas lobt und das Existenzrecht Israels in Frage stellt. Dann wäre Deutschland anders mit dem  Anschlag eines Nazis in Halle, anders mit den antisemitischen Corona Protesten, anders mit Antisemiten wie Höcke und Aiwanger umgegangen, dann gäbe es keine Kürzung von Präventionsprogrammen gegen Antisemitismus und Rassismus und Anne Frank Kindergärten würden nicht 2 Wochen nach dem zweitgrößen Massaker an Jüdinnen*Juden nach der Shoah umbenannt werden. Aber Antisemiten, das sind immer die anderen.

Die Grundlage für moderne Ausprägungen rassistischer und antisemitischer Ideologien ist das kapitalistische System, das auf Ausbeutung aufbaut. Die unpersönliche, sachliche Herrschaft des Kapitalismus verlangt nach einer Projektionsfläche, für die Jüdinnen*Juden als ‚herrschende Elite‘ herhalten müssen, während die jeweils rassifizierten Gruppen abgewertet werden, um eine Legitimation für ihre (Über)ausgebeutung zu haben und Allianzen zwischen migrantisierten und nicht-migrantisierten Arbeiter*innen durch ein vermeintliches Konkurrenzverhältnis zu verhindern. Auch das erklärt den Antisemitismus, der hinter Narrativen der jüdischen Übermacht steckt – ob in Form eines zugeschriebenen homogenen privilegiert, weil ‚weiß‘, seins – wobei die Gleichsetzung von Herrschenden und „weiß“ bereits auf wackligen Beinen steht – oder in Form von zugeschriebener intriganter Allmacht eines mehrheitlich jüdischen Staates. Ein Kapitalismus, der multiple Krisen nach sich zieht, wird immer mehr Gelegenheiten bieten, die Jahrhunderte gewachsene Schablone des Antisemitismus anzuwenden um einen Sündenbock zu haben. Auch weitere Dynamiken, die er hervorbringt, z.B. auf Zustimmung statt auf Widerspruch aufbauende Algorithmen hinter sozialen Netzwerken, die solche Denkfehler nicht auflösen sondern gar befördern, kippen zusätzlich Öl ins Feuer.

Statt bei diesem Gegeneinander ausspielen mitzumachen, gilt für uns: Die Kämpfe gegen Antisemitismus und gegen Rassismus bedingen sich gegenseitig. Nicht umsonst hat ein völkisches und faschistisches Deutschland in einem wahnhaften nach unten und angeblichem ’nach oben‘ treten beides zu Tage geführt, was die Haltung von Antifaschist*innen sehr klar machen sollte. Auf dieser Basis wären Allianzen so fruchtbar, und wichtiger denn je. Und es gibt sie, auch wenn sie im social media clickbait Strudel untergehen. Wem sie neben den Antisemiten und Rassisten hierzulande am meisten ein Dorn im Auge sind, ist die Terrororganisation Hamas und die israelische Regierung bzw. Teile der herrschenden Klasse dort, denn diese würden ohne den Dauerkonflikt jede Legitimation verlieren. Wessen rassistische Politik sich in ein Gewandt des Anti-Antisemitismus kleidet kann kein Verbündeter sein. Genauso sind Kundgebungen, bei denen sich entweder Islamist*innen oder Anhänger*innen der AfD wohl fühlen für uns keine Räume der Solidarität.
Es gilt diesen Ideolgien die Grundlage zu nehmen und das geht eben nur über den Zusammenschluss der Menschen entlang ihrer Klasse. Indem sie solidarisch miteinander sind, indem die Konkurrenz aufgehoben wird und gemeinsam für eine andere Welt gestritten wird – hier wie in Israel und Palästina.

Was bleibt, und wovon wir uns wünschen würden, dass es wieder mehr Zuspruch erfährt, ist: die Auseinandersetzung mit Komplexitäten, das Zulassen von Widersprüchen, das gemeinsame Kämpfen für geteilte Ziele wie das gute Leben für alle ohne Rassismus und ohne Antisemitismus – und das alles am liebsten ohne die Theorie zu vergessen. Wir wehren uns dagegen, Menschen mit ihren Regierungen gleichzusetzen und unterstützen oppositionelle und emanzipatorische Bewegungen, ohne dabei den Kopf zu verlieren. Oppositionen sind nicht immer emanzipatorisch aber Emanzipation ist meist oppositionell. Informierte antifaschistische Solidarität statt gleichgültiger Humanismus!

Gegen jeden Antisemitismus. Gegen rassistische Abschottungspolitik.


Englische Übersetzung
We are happy to respond to a call for a good life for all – because a little situation check on why we are a long way from that right now: Houses of Jews are being marked with the Star of David again in some places. Scholz is quoted on the cover of Der Spiegel as saying ‚We must finally deport people on a large scale‘. In France, a young Jewish woman opens her front door and is stabbed. A swastika is then emblazoned on her front door. Merz says that we can’t take in Palestinian refugees because „we“ have enough anti-Semites in the country and is not referring to Aiwanger. Aiwanger, who distributed anti-Semitic leaflets in his youth and now sits in a far-right party, is suddenly an expert on anti-Semitism. 13-year-olds celebrate their political awakening moment on TikTok through Osama Bin Laden. After Hamas‘ brutal act of terror against Israel on October 7, everyone here seems to be going crazy. Or in a more conciliatory way, as a recent newspaper headline put it: ‚Everyone is shocked. Everyone is disappointed. It’s true – some are disappointed that there is no solidarity or that it is only expressed in reflexive equilibrium when followed by a ‚but‘. Others are disappointed that even taking to the streets en masse does little to change the acute situation in Gaza and that anti-Muslim racism, including repression against migrants, is increasing rapidly in Germany.

What contributes greatly to this mutual disappointment are not the real groups affected on the ground, but those who pursue their own political agenda in their name and are quickly confused with those actually affected in the confusion of voices – the classic straw men. They put even more obstacles in the way of those affected by giving the impression that the interests of Jews and Muslims are incompatible or opposing poles. On the one hand, this refers to the racist attitude of deportation and isolation, which, under the guise of anti-anti-Semitism, pretends that Muslims, in contrast to Jews, have been born with Islamism, anti-Semitism and in fact every reactionary ideology. On the other hand, there is the anti-Semitic stance under the guise of anti-racism, which, in contrast to Muslims, places Jews on the side of „the whites“, the rulers, the imperialists, who must be fought against.

Both positions argue essentialistically, i.e. attribute behavior to birth, culture, nature, etc. and deliberately leave out analyses of domination. The isolationist position is more obvious. To give just one example, the depiction of Islamism in Germany tends to forget the involvement of the government itself. Islamism does not simply thrive. Turkish guest workers did not bring Islamism with them to Germany. No, they began to organize themselves, sometimes joining forces with their German colleagues and going on strike, and were receptive to left-wing agitation. This was a thorn in the side of the FRG, which then cooperated closely with Islamist and Turkish nationalist associations in the 1970s, which broke up these structures and recruited members. An agenda that endangered emancipatory migrants and Jews from the outset was pushed through with a blind eye, only to enforce racist isolationist policies 40 years later under the pretext of ‚imported anti-Semitism‘. Just as Muslims are painted here as collectively not belonging, Jews are painted as collectively belonging because they are Western and white. This also lacks any factual basis. 80% of the Jewish communities in Germany come from the former Soviet Union, experience anti-East European racism and anti-Semitism at the same time and live disproportionately in poverty. Sephardic Jews, often with a history of migration from North African countries, also vehemently oppose this homogenization as ‚white‘ – both on the part of those who, out of their own racism, want to be on the side of a supposedly whiter group, as well as those who position themselves against it for this very reason.

Inevitably, anti-Semites and racists also fail to carry out an analysis of the power/class of the affected groups: What remains unmentioned is that as late as 6. What remains unmentioned is that surveys from Gaza on October 6 show that 67% of the population have little or no trust in Hamas, that anti-Hamas demonstrations in Gaza regularly have to be violently suppressed, that surrounding Arab states in turn completely abandon Palestinian refugees and keep them in camps under inhumane conditions as a political bargaining chip, that shortly after the attack Israeli and Palestinian women took to the streets together, that Israelis have been taking to the streets in their millions for months to protest against the right-wing government. Classes do not exist in this totality anyway. Otherwise we would have to listen to people in Israel who are fighting against the corruption of their government. Listening to people in Gaza who are also fighting against the corruption of Hamas and the PLO, against Hamas digging up laid water pipes in order to forge weapons from them under Iran’s instructions and embezzling international funds instead of ensuring the survival of the civilian population. The latter positions are also neglected by anti-Semitism in the guise of anti-racism. Because neither racists nor anti-Semites really fit the bill. Both would rather have a national or religious, homogeneous whole that can be devalued as a whole in the case of the former and declared heroes in the case of the latter.

For us, anti-fascist practice means emphasizing that this is not simply a ’naturally‘ grown religious war, that anti-Muslim racism and anti-Semitism do not simply differ in who they are directed against, but in their basic dynamic of stepping downwards and supposedly ‚upwards‘. They are two sides of the same bourgeois-fascist coin. It is no coincidence that fascist conspiracy ideologies, formerly those of ‚Jewish Bolshevism‘ or today of the ‚great exchange‘, are similar in that they are directed against a racialized group that is supposedly infiltrating Western society and against an anti-Semitically coded group that is supposedly orchestrating this infiltration. Currently, this scapegoat and conspiracy narrative is also appearing in the form of supposed criticism of Israel or the assumption that Israel has a stranglehold on Germany because of ‚German guilt‘. Apart from the fact that this is strongly reminiscent of the fascist „final line“ debate: if Germany had always felt guilty, it would not have entered into an alliance with Islamism against the common enemy communism, would possibly still be doing business with Iran, which equips and directs Hamas, or with Turkey, whose autocrat openly praises Hamas and questions Israel’s right to exist. Then Germany would have dealt differently with the attack by a Nazi in Halle, differently with the anti-Semitic corona protests, differently with anti-Semites like Höcke and Aiwanger, then there would be no cuts to prevention programs against anti-Semitism and racism and Anne Frank kindergartens would not be renamed two weeks after the second largest massacre of Jews after the Shoah. But anti-Semites are always the others.

The basis for modern manifestations of racist and anti-Semitic ideologies is the capitalist system, which is built on exploitation. The impersonal, objective rule of capitalism requires a projection surface for which Jews must serve as the ‚ruling elite‘, while the respective racialized groups are devalued in order to legitimize their (over)exploitation and to prevent alliances between migrant and non-migrant workers through a supposed competitive relationship. This also explains the anti-Semitism behind narratives of Jewish supremacy – whether in the form of an ascribed homogeneous privilege because it is ‚white‘ – whereby the equation of rulers and „white“ is already on shaky ground – or in the form of the ascribed scheming omnipotence of a predominantly Jewish state. Capitalism, which entails multiple crises, will offer more and more opportunities to apply the centuries-old template of anti-Semitism in order to have a scapegoat. Other dynamics that it produces, e.g. algorithms behind social networks that are based on consent rather than contradiction, which do not resolve such errors in thinking but actually promote them, add fuel to the fire.

Instead of playing off against each other, we believe that the struggles against anti-Semitism and racism are mutually dependent. It is not for nothing that a völkisch and fascist Germany has brought both to light in a delusional downward and supposedly ‚upward‘ step, which should make the stance of anti-fascists very clear. On this basis, alliances would be more fruitful and more important than ever. And they do exist, even if they get lost in the social media clickbait maelstrom. Alongside the anti-Semites and racists in this country, the terrorist organization Hamas and the Israeli government or parts of the ruling class there are the main thorn in their side, as they would lose all legitimacy without the ongoing conflict. Anyone whose racist policies are clothed in the garb of anti-Semitism cannot be an ally. In the same way, rallies where either Islamists or AfD supporters feel comfortable are not spaces of solidarity for us.
These ideologies must be deprived of their foundation and this can only be achieved by uniting people along class lines. By showing solidarity with each other, by eliminating competition and fighting together for a different world – here as well as in Israel and Palestine.

What remains, and what we would like to see become more popular again, is the confrontation with complexities, the acceptance of contradictions, the common struggle for shared goals such as a good life for all without racism and anti-Semitism – and preferably without forgetting theory. We resist equating people with their governments and support oppositional and emancipatory movements without losing our heads in the process. Oppositions are not always emancipatory, but emancipation is usually oppositional. Informed anti-fascist solidarity instead of indifferent humanism!

Against all anti-Semitism. Against racist isolationist policies.


Rede von denFalken Osnabrück