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Aktuelle Refugee-Protestbewegung in Osnabrück:
Abschiebungen? Widerstand!  –We are all human beings-
Von Naife (Refugee-Aktivist), Frieda und Lisa (Unterstützerinnen von No Lager Osnabrück)
No Lager Osnabrück Juni 2014
Januar 2014 fing alles an: Die Nachricht von über 80 anstehenden Abschiebungen in Osnabrück erschüttert uns. Aus Überlegungen, Kontaktaufnahme, Vernetzung, Organisierung werden Taten und Aktionen und es entsteht eine immer breiter werdende Refugee- Protestbewegung, wie sie es in Osnabrück noch nie gegeben hat! Ein spannender, energiegeladener und vor allem notwendiger Prozess:
Frieda und Lisa: Zuerst ist es uns wichtig, die aktuellen Proteste zu kontextualisieren. Wie der Name No Lager impliziert, war der Hauptfokus unserer Gruppe bislang der Kampf gegen Niedersachsens größtes (mittlerweile Ex-) Abschiebelager Bramsche- Hesepe.
Über 10 Jahre lang haben No Lager– Aktivist*innen versucht, mit Refugees, die in dem riesigen Isolationscamp leben mussten, in Kontakt zu kommen. 600 Menschen- untergebracht im Nirgendwo. Es gab viele Aktionen: Demos, die No Lager– Aktionstour Blockaden und mit den beginnenden bundesweiten Refugee- Protesten in 2012, organisierten wir ein Protestcamp im Osnabrücker Zentrum mit dem Motto: Besser im Zelt als im Lager!
Obwohl es zeitweise schwer war und einige Aktivist*innen Hausverbot im Lager bekamen, riss der Kontakt zwischen Refugees und No Lager nie ab.
Während der Kommunalwahlen in Niedersachsen in 2013 besuchten wir Wahlkampf- Events und nutzten den Wahlkampf, um mehr Druck auf die Parteien (SPD & GRÜNE) auszuüben. Naja- die Schließung des Lagers ist nicht passiert, dafür der Wandel von Abschiebelager in ZAST (Zentrale Aufnahmestelle)- also offiziell, zumindest gemäß § 47 Abs. 1 AsylVerfG., nur noch maximal 3 Monate Aufenthalt im Lager, statt unbegrenzt. Zwar entspricht das nicht unserem Ziel, trotzdem: ein Schritt vorwärts im Vergleich zu den Jahren zuvor.
Nach dieser Änderung war die Konsequenz für niedersächsische Städte, neue Konzepte für eine dezentrale Unterbringung nach Ende der Lagerunterbringung zu entwickeln. Wir versuchten hier unsere Finger ins Spiel zu bringen und die Konzeptentwicklung zu beeinflussen, indem wir gemeinsam mit Refugees aus Osnabrücker Heimen konkrete Forderungen stellten: Einzelräume! Mehr Küchen und Bäder! Schimmelfreiheit! Transfer in Privatwohnungen! Professionelle Deutschkurse umsonst- für alle! Aber trotz Besuchen bei Veranstaltungen und Sitzungen der Verantwortlichen, Migrationsbeirat und Integrationsbeauftragte, wurden die Stimmen der Refugees mal wieder ignoriert und missachtet!
Bis auf ein neueres Heim, das zentral und in der Nähe unseres AZs SubstAnZ gelegen ist, haben sich die Lebensbedingungen für Geflüchtete in den sogenannten Heimen nicht verbessert.
Naife: Wir, die Leute aus Pakistan, und die Leute aus Somalia und Eritrea haben uns zum ersten Mal in der ZAST Friedland getroffen, in der Nähe von Göttingen. Von da wurden wir in verschiedene niedersächsische Städte transferiert. Manche von uns sind in das gleiche Heim in Osnabrück gekommen. Kurz nach dem Ankommen hier wurden nach und nach unsere Asylanträge abgelehnt. Wir bildeten unsere eigene Refugee- Gruppe in einem der Heime, um einen Weg zu finden, mit der Situation umzugehen. Problematisch war, dass wir uns kaum mit den Rechten und Gesetzen für Geflüchtete in Niedersachsen auskannten und wir wenig Ressourcen (Geld, Leute und Information) hatten, um eigene Proteste zu organisieren. In dieser Zeit trafen wir Leute von der No Lager– Gruppe Osnabrück. Sie kamen zu uns und sprachen über die aktuelle politische Situation für Refugees in Osnabrück.
Zuerst wussten wir natürlich nicht, was das für Menschen waren, die da zu uns kamen. Wir waren sicher, dass es Leute von der Polizei sein mussten als sie anfingen, Fragen zu stellen. Später, unter uns, überlegten wir uns ein Ranking: Wer ist wohl Chef*in ist und wer noch Azubi?! Heute lachen wir drüber!
Frieda und Lisa: Anfang 2014 befand sich unsere No Lager– Gruppe in einer politischen Selbstfindungsphase. Wir suchten einen neuen Fokus unserer Arbeit, nachdem das Lager nun zur ZAST mutiert war. Uns beschäftigte die Frage, wie wir einen näheren Kontakt zu Refugees authentisch aufbauen und gestalten könnten.
Eines Tages kam dann die besagte Schocknachricht der 80 kommenden Abschiebungen im Frühling/ Sommer 2014! Das war unser Startschuss, um intensiv den Kontakt in die Heime zu suchen. Wir sprachen mit den Geflüchteten und gaben unsere Informationen bezüglich der Abschiebungen weiter. Um die Vernetzung zwischen den verschiedenen Heimen zu unterstützen, fuhren wir gemeinsam mit befreundeten Refugees in alle Heime Osnabrücks und mobilisierten für ein erstes großes Vernetzungsplenum in unserem AZ SubstAnZ.
Für dieses erste gemeinsame Plenum zu dem Thema luden wir einen erfahrenen Refugee-Aktivisten aus Hannover ein. Nicht wir, als weiß sozialisierte und privilegierte Menschen, wollten die Sprecher*innen bezüglich der Möglichkeiten von Refugee- Protesten sein. Er machte den (60!) anwesenden Menschen im Plenum die Relevanz des Agierens statt Reagierens und vor allem des Zusammenhalts deutlich und erzählte von eigenen Aktionen.
Seit diesem Plenum kommen viele Refugees regelmäßig zu den No Lager– Plena ins SubstAnZ.
Naife: Bei unserem allerersten Plenum waren wir ungefähr 60 Menschen aus unterschiedlichen Heimen. Es waren verschiedene Nationalitäten und Sprachen (Somali, Urdu, Arabisch, Englisch, Tegriniya und Deutsch), aber wir bekamen es hin, Übersetzer*innen innerhalb der Gruppe zu finden. Für viele von uns war es überhaupt das allererste Plenum. Die Strukturen waren den meisten noch unbekannt. Wir bekamen Infos über unsere Rechte in Deutschland und einige hinterfragten zum ersten Mal diese „Rechte“.
In einem weiteren Plenum wurde ein Anwalt eingeladen, der uns über Rechte, Möglichkeiten und Grenzen bezüglich unserer Asylprobleme in Niedersachsen aufklärte. Wir alle (Refugees und Supporter*innen) waren uns einig: Wir wollen die Abschiebungen ALLE stoppen! Es war so viel Energie in der Gruppe und wir waren froh zu merken, dass es Leute gibt, die uns unterstützen wollen.
Frieda: Am Anfang des ersten Treffens waren wir nervös- am Ende überwältigt! So viele Menschen, so viele Sprachen- es war eine Herausforderung und ein riesiger Gewinn zugleich. Von da an wurde der Kampf ein gemeinsamer, den die No Lager– Gruppe so noch nie erlebt hat. Uns wurde die Relevanz klar, jetzt aktiv zu werden und Widerstand gegen die Behörden und die bevorstehende Abschiebeprozedur in Osnabrück zu leisten!
Naife: Eine Woche später erhielten wir die Info, dass Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nach Osnabrück kommen würde, um eine sog. Offene Bürgersprechstunde zu geben. Geflüchtete und Supporter*innen gingen mit ca. 50 Leuten dorthin, um ihn mit unseren Problemen zu konfrontieren. Wir hatten Transpis und Schilder mit unseren Forderungen dabei- aber wir durften nicht mit ihm sprechen, sondern mussten draußen bleiben. Also riefen wir unsere Forderung, die Abschiebungen zu stoppen, von draußen in den überfüllten Raum hinein. Später, ohne mit dem Präsidenten gesprochen zu haben, erzählten wir zumindest der Presse von unserer Situation.
Frieda: Einige No Lager– Menschen kontaktierten den NDR, der sich für die aktuellen Refugee- Proteste interessierte, sodass wir die Möglichkeit hatten, ihnen ein Interview zu geben. Stephan Weil’s einziger Kommentar bezüglich unserer Aktion in der Bürgersprechstunde war, dass er nichts von Abschiebungen gewusst haben wolle und er ja ohnehin nichts am Gesetz ändern könne, blablabla. Ihn interessierte die Situation der Geflüchteten ganz offensichtlich überhaupt nicht.
Naife und Frieda: Vor dieser ersten gemeinsamen politischen Aktion wussten wir, dass in der gleichen Nacht die erste Abschiebung ausgeführt werden sollte. 2:30 Uhr aus dem Heim in der Nachbarschaft des SubstAnZ‘. In einem spontanen Plenum einigten wir uns darauf, die Eingangstür des Heimes zu blockieren und so die Abschiebung zu verhindern. Innerhalb einer Stunde mobilisierten wir 60 Geflüchtete und Supporter*innen. Und tatsächlich: Es klappte! Die Ausländerbehörde und Polizei intervenierten nicht, sondern hauten einfach wieder ab. Die betroffene Person bekam einen weiteren Monat Aufenthalt und wohnt noch immer in Osnabrück!
http://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/470168/abschiebung-von-fluchtlingen-aus-osnabruck-stoppen-1
Naife: In den nächsten (nur!) 4 Tagen organisierten und mobilisierten wir für eine Demo im März 2014. Mindestens 600 Menschen nahmen daran teil und liefen mit uns durch das Stadtzentrum. Die Demo endete vor dem Rathaus Osnabrück, wo sich derzeit zufällig der Sozialausschuss traf, um über die flüchtlingspolitische Situation zu diskutieren. Zwar kamen viele Refugees der verschiedenen Heime der Stadt zur Demo, jedoch waren viele skeptisch und fürchteten die Reaktionen der Polizei.
Diese Demonstration war so wichtig für uns. Obwohl manche Refugees Angst hatten und es für viele die erste Demo in Deutschland war, sind sie gekommen, um für ihre eigenen Fälle einzustehen. Der Hauptfokus war, die Bürger*innen mit unseren Fluchtgründen und den großen Problemen in den Heimatländern zu konfrontieren. Der Protest gab uns die Möglichkeit, unsere Forderungen lautwerden zu lassen und Redebeiträge zu halten. Viele Menschen von der Straße schlossen sich uns an und wir verteilten Flyer und Infoblätter.
http://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/460653/demo-in-osnabruck-600-burger-unterstutzen-fluchtlinge-1
Frieda und Lisa: Aus Supporter*innen-Perspektive war es wider Erwarten der Hammer, wie viele Menschen so spontan an der Demo teilnahmen. Ein wichtiger Schritt, auch die bürgerliche Aufmerksamkeit auf den aktuellen unmenschlichen politischen Prozess von 80 Abschiebungen zu lenken- natürlich mit medialer Unterstützung der Presse.
Die Demo endete vorm Osnabrücker Rathaus, wo No Lager– Leute und Refugees zu den derzeitig dort tagenden Politiker*innen der Versammlung zum Thema Abschiebungen in Osnabrück. Zwei der Politikerinnen (SPD und GRÜNE) reagierten, indem sie ihre Bewunderung unseres politischen Engagements äußerten und die Refugees willkommen hießen- in der Presse hieß es später, die Geflüchteten hätten nun ein Gesicht bekommen, was plötzlich scheinbar für einige Minuten anhaltende Betroffenheit auslöste- nach dem Motto: Sind ja doch nicht nur Nummern, sondern Menschen! Endloses Gerede ohne Inhalt und Substanz!
Lisa: Parallel zur autonomen Organisierung politischer Proteste, entstand in Osnabrück im Stadtteilbüro ein Runder Tisch, wo sich verschiedene Menschen treffen, um bspw. über Kirchenasyl und andere Möglichkeiten zu reden, um Refugees in der aktuellen Gefahr vor Abschiebung zu unterstützen. Diese Leute stellten eine zweite große Demonstration auf die Beine, wo sich No Lager eher zurückzog aufgrund einiger Konflikte bezüglich des Aufrufs.
Naife: Viele weitere Refugees bekamen in den letzten Wochen Abschiebebescheide. Wir starteten die Planung einer Demonstration vor der Ausländerbehörde, die für uns Refugees ein gefürchteter Ort ist.
Naife und Frieda: Einige Refugees und Leute von No Lager sprachen auf dieser Demo mit Verantwortlichen der Ausländerbehörde- deren unglaublich ignorante Einstellung war frustrierend und macht uns so wütend!
Die nächste anstehende Abschiebung sollte am folgenden Morgen stattfinden- wieder mobilisierten wir für eine Türblockade. Dieses Mal existierte die mittlerweile auf 130 Menschen gewachsene Telefonliste zur spontanen Mobilisierung für Abschiebeverhinderungen. Wir blockierten wieder die Eingangstür des Wohnheims. Die Presse war auch anwesend.
Die Polizei kam und sprach mit uns- die Leute zeigten friedlichen Widerstand. Das Abschiebeauto kam zwar, entfernte sich aber wieder, als es die widerständische Masse vor der Tür sah. Somit war eine weitere Abschiebung verhindert und wir bekamen erneut viel Öffentlichkeit in Fernsehen und Presse. Sogar der Innenminister Niedersachsens, Boris Pistorius, wurde über unsere Proteste interviewt.
http://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/475404/osnabrucker-verhindern-abschiebung-von-fluchtling
Naife: Das Verhalten der Polizei bisher ist in Ordnung, worüber wir froh sind. Wir sind glücklich über die vielen und immer mehr werdenden Menschen, die uns unterstützen und zur aktuellen Refugee- Protestbewegung in Osnabrück dazu stoßen. Ich hoffe, es wird auch weiterhin so gut laufen wie jetzt.
Lisa: Wir wissen, dass es viel Gewalt gegeben hat in Refugeeprotesten, z.B. in Göttingen, sodass wir nict zu optimistisch sind. Trotzdem hoffen wir, dass es hier andere Entwicklungen gibt. Wir werden sehen…
Frieda: Auf jeden Fall werden wir nicht aufgeben, alle zusammen zu kämpfen: gegen Abschiebungen, die Unmenschlichkeit der Asylpolitik und das Dublin- lll- Verfahren!!
Anmerkung: Aktueller Stand (Ende Juni 2014): Bisher fünf Mal Abschiebeverhinderung in Osnabrück durch Türblockaden!
STOP THE DEPORTATIONS!
WE ALL WANT TO LIVE TOGETHER