Mail an die Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde Osnabrück

Am 2. Mai 2023 haben wir uns mit der untenstehenden Mail an die Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde Osnabrück gewandt. Dabei ist uns bewusst, dass die Mitarbeiter*innen dieser Behörde mehrheitlich ganz genau wissen, was wir meinen, wenn wir den Rassismus (in) der Behörde thematisieren. Dennoch finden wir eine direkte Ansprache an die Mitarbeiter*innen wichtig.

Im Folgenden die Mail an die Mitarbeiter*innen in voller Länge.

Achtung: Es geht vor allem im vierten Absatz inhaltlich um die Themen Rassismus, Abschiebungen, Suizid, Suizidversuche, Selbstverletzung und Mord.


Sehr geehrte Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde Osnabrück,

wie Ihnen sicher nicht entgangen ist, üben wir als No Lager Osnabrück seit einigen Monaten öffentlich Kritik an Ihrer Behörde und tragen unsere Forderungen auf die Straße. Nach der Mediendebatte um die Rolle von Rassismus in unserer Kritik, die geführt wurde, ohne dass sich tatsächlich inhaltlich mit dieser Kritik auseinandergesetzt wurde [1], richten wir uns nun direkt an Sie als Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde. Erfahrungsgemäß schalten viele Menschen direkt in eine Abwehrhaltung, wenn sie sich oder ihr Verhalten auch nur in die Nähe von Rassismus gerückt fühlen. Sie fühlen sich angegriffen und verletzt, gehen in die Defensive oder werden aggressiv. Wenn Sie aber offen dafür sind, sich mit Rassismus etwas auseinanderzusetzen, werden Sie sehen, dass es um viel mehr geht, als um einen persönlichen Vorwurf. Wir ermutigen Sie also, diese Mail zu lesen und sich der Kritik zu stellen. Um es kurz zu halten, gehen wir nur auf zwei Punkte von vielen ein.

Zum Thema Rassismus

Rassismus drückt sich nicht nur im individuellen Verhalten von Menschen aus, sondern auch auf struktureller gesellschaftlicher Ebene – z.B. in der Organisation von Behörden und Institutionen oder der Entstehung und Gestaltung von Gesetzen. Unsere Kritik nur auf die persönliche Ebene zu beziehen, wäre zu kurz gedacht und schiebt Ihnen als Mitarbeiter*innen der Behörde noch dazu die komplette Verantwortung zu. Dabei geht es um viel mehr. Wir thematisieren z.B., dass in der Ausländerbehörde rassistische Gesetze ausgeführt werden. Zum Beispiel § 62 AufenthG zum Thema Abschiebungshaft: Dieser geht in seinem Ursprung direkt auf den § 7 der nationalsozialistischen Ausländerpolizeiverordnung (APVO) zurück. Dieser wurde für die Übernahme in § 16 des neuen Ausländergesetzes geringfügig erweitert, 1990 verschärft und dann 2005 im neuen Aufenthaltsgesetz übernommen. Die Namen und Paragrafen sind andere, der Inhalt und die Logik aber verändern sich kaum [2].

Doch Paragrafen alleine richten noch keinen Schaden an. Es braucht immer eine ausführende Behörde. § 62 AufenthG ist dabei ein Beispiel von vielen. Das gesamte Mosaik des Asyl- und Aufenthaltsrechts steht mit all seinen Verschärfungen der letzten drei Jahrzehnte im Zeichen rassistischer und rechtsextremer Mobilisierung und Stimmungsmache – wie die rechtsextremen und rassistischen Pogrome mit vielen Toten, die zum sogenannten „Asylkompromiss“ 1993 und der weitreichende Einschränkung des Rechts auf Asyl führte. Damit wollen wir sagen, dass die Gesetzte nicht einfach so sind, wie sie sind. Sie sind viel mehr das Ergebnis von gesellschaftlichen Stimmungen und Entwicklungen.

Zum Thema Abschiebungen

Wir kritisieren die deutsche Abschiebepolitik mit klaren Worten und bezeichnen diese als tödlich. Warum? Zwischen 1993 und 2021 begingen 415 Menschen angesichts der Androhung einer Abschiebung Suizid oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen. Allein 86 Menschen starben in Abschiebehaft. Mindestens 4.914 Geflüchtete haben sich in diesem Zeitraum aus Verzweiflung oder Panik vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung und die Aufenthaltssituation selbst verletzt oder überlebten Suizidversuche. Während ihrer Abschiebung starben 5 Menschen, 623 wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Misshandlungen während der Abschiebung verletzt. Nach der Abschiebung kamen mindestens 41 Menschen zu Tode, mindestens 634 wurden im Zielland der Abschiebung von Polizei oder Militär misshandelt und gefoltert oder kamen anderweitig zu Schaden (z.B. Abschiebung schwerkranker Menschen ohne medizinische Versorgung im Zielland). Mindestens 80 Menschen verschwanden nach der Abschiebung spurlos. Durch direkte Gewalteinwirkung von Polizei oder Bewachungspersonal oder indirekte Gewalt vonseiten Verantwortlicher starben 31 Menschen entweder in Haft, in Gewahrsam, bei Festnahmen, bei Abschiebungen, auf der Straße oder in Behörden – mindestens 1.349 wurden dort verletzt. 32 weitere geflüchtete Menschen starben durch unterlassene Hilfeleistung von Betreuungs- oder Bewachungspersonal [3]. Wir sind der Meinung, diese grausame Aufzählung braucht keine weitere Erläuterung. Kein Mensch muss sich an diesem System beteiligen.

Und jetzt?

Statt Kritik nur abzuwehren, undifferenzierte Gegenvorwürfe zu formulieren und auf Durchzug zu schalten, wie es die Osnabrücker Stadtpolitik und Ihre Behördenchefin Heike Pape im vergangenen Monat getan haben, können Sie unserer Meinung nach in einem ersten Schritt der Verbesserung der Praxis Ihrer Behörde folgendes tun:

  • Fordern Sie interne Schulungen und Weiterbildungen ein, um sich zum Thema Rassismus zu informieren und als Behörde einen Rassismusbegriff zu entwickeln, der nicht nur die persönliche, sondern auch die institutionellen und strukturellen Ebenen berücksichtigt.
  • Klären Sie Ihre Klient*innen über Ihre Rechte auf, weisen Sie auf Möglichkeiten für Verbesserungen des Status hin und unterstützen Sie die Menschen, anstatt die ohnehin schon wenig nachvollziehbare und komplizierte Bürokratie noch mehr zu verkomplizieren und Behördengänge zu einem immer wiederkehrenden Horror zu machen.
  • Machen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst und nutzen Sie jeden Ermessensspielraum, den Sie haben, im Sinne Ihrer Klient*innen. Erlauben Sie Ihren Klient*innen wann immer möglich bestehende Bildungs- und Arbeitsangebote wahrzunehmen. Wenn Ihnen bekannt ist, dass ein*e Klient*in suizidal ist, müssen Sie drohende Abschiebungen unbedingt stoppen. Gehen Sie außerdem doch mal der Frage auf den Grund, warum die Ausländerbehörde Osnabrück als besonders schlimm bekannt ist, und fordern Sie intern Veränderungen ein.
  • Nicht zuletzt umfasst unsere Kritik auch respektloses, unfreundliches und auch – wir sagen es wieder – rassistisches Verhalten im direkten Kontakt mit Ihren Klient*innen. Hier ist es an Ihnen, das zu ändern. Jede*r hat mal einen schlechten Tag, aber was viele Menschen in der Ausländerbehörde erleben, geht weit darüber hinaus.
  • Was die Arbeitsbedingungen in der Behörde angeht, befürworten wir jede gewerkschaftliche Organisierung und unterstützen z.B. die Streiks im öffentlichen Dienst. Der Druck durch Arbeitsbedingungen und Arbeitsorganisation darf nicht nach unten an die Klient*innen der Ausländerbehörde, sondern muss an die Arbeitgeber*innen und politischen Entscheidungsträger*innen weitergegeben werden.

Wir weigern uns, die verkürzte Darstellung der Debatte hinzunehmen. Auf unserem Blog können Sie mehr zu unserer Kritik an der Ausländerbehörde Osnabrück und den Perspektiven mancher Ihrer Klient*innen nachlesen: https://nolageros.noblogs.org/.

Unser Protest geht weiter, bis gleiches Recht für alle Menschen eingelöst und die rassistischen Zustände im deutschen Asylsystem ein Ende haben.

In diesem Sinne viele Grüße,
No Lager Osnabrück


Verweise:
[1] z.B. https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/osnabruecker-auslaenderbehoerde-weist-rassismus-vorwurf-zurueck-44340603
[2] vgl. Droste, Lina; Nitschke, Sebastian (Hg.) (2021): Die Würde des Menschen ist abschiebbar. Einblicke in Geschichte, Bedingungen und Realitäten deutscher Abschiebehaft. Münster: edition assemblage.
[3] Für alle genannten Zahlen siehe Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin (2022): Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen. Dokumentation 1993 bis 2021. Berlin. Online verfügbar: https://www.ari-dok.org/uploads/mini_cms/publications/GESAMT-DOKU_29_Auflage_print.pdf