Redebeitrag zur Solidemo Belarus Polen

In diesem Redebeitrag wird physische Gewalt thematisiert. Aus diesem Grund sprechen wir hiermit eine Triggerwarnung aus.

Wir versammeln uns hier, um Solidarität mit den geflüchteten Menschen an der belarussisch polnischen Grenze zu zeigen. Bei frostiger Kälte harren diese Menschen Tag und Nacht aus, ohne ein Hoffen auf Weiterkommen, weil sie bei jedem Versuch, die Grenze zu überqueren, von polnischen und europäischen Beamt*innen gewaltvoll zurückgeschlagen werden. Es wurden bereits viele Reden zur rassistischen Abschottungspolitik der EU gehalten, aber es scheint so, als hätte diese einen weiteren Tiefpunkt erreicht. Dies kann so nicht weitergehen, wir fordern sichere Fluchtwege ohne Sterben in die EU, ein Ende der Illegalen Pushbacks und Bleiberecht für alle überall.Zur Zeit harren wenigstens 4000 Menschen in Belarus an der geschlossenen Grenze zu Polen aus, es sind bis jetzt 8 Tote bestätigt worden, vermutlich ist die Zahl weitaus höher. Bei versuchten Grenzübertritten wurden seitens Polen bereits Wasserwerfer eingesetzt. Auch das kann bei den aktuellen Temperaturen schnell zur Todesgefahr werden, einmal nass gibt es keine Möglichkeit sich wieder aufzuwärmen oder zu trocknen. Die Menschen, die es schaffen, die Grenze zu überqueren und europäischen Boden zu betreten, werden Opfer illegaler Pushbacks d.h. sie werden daran gehindert einen Asylantrag zustellen und zurück über die Grenze gestoßen. Das passiert, obwohl sie laut gültigem Recht nicht zurückgewiesen werden dürfen. Mindestens während der Bearbeitung ihres Asylantrags muss die EU sie aufnehmen.
Geflüchtete und Migrant*innen werden instrumentalisiert, sie werden zur Verhandlungsmasse im Konflikt zwischen der EU und Belarus. Aber es geht eben nicht um eine abstrakte Masse, die das Leid der einzelnen Personen unbegreifbar macht, sondern um viele Tausende Einzelschicksale wie das von Ahmad al Hasan:

Dazu ein Ausschnitt eines Berichts namens „Tod und Elend im Grenzgebiet“ der „dw“ (Deutschen Welle) aus Polen vom 16.11.2021:

„Er wurde nur 19 Jahre alt und nachts in dem winzigen Dorf Bohoniki, nahe dem
polnischen Grenzübergang Kuznica, in einer stillen Zeremonie beerdigt. Der Ort, in
dem Ahmad al Hasan seinen letzte Ruhe gefunden hat, ist eine historische Kuriosität:
Im 17. Jahrhundert siedelten sich dort muslimische Tartaren an. Nur noch eine
Handvoll von ihnen lebt heute dort, aber die kleine Gemeinde fühlte sich verpflichtet,
Ahmad al Hasan als einen der Ihren zu begraben. ‚Er war doch ein Mensch, ein Muslim und noch ein Jugendlicher‘, meint Ortsvorsteher Maciej Szczesnowicz und man musste ihm „eine würdige Beerdigung“ geben. Jetzt liegt sein Grab, Tausende Kilometer von seiner im Bürgerkrieg
zerstörten syrischen Heimatstadt Homs, am Ende des muslimischen Friedhofs von
Bohoniki. Es ist ein einsamer Platz, mit Blick auf eine Birkenallee und einen
ähnlichen Wald, wie der, in dem Ahmad sein Leben verlor.

Der junge Syrer war aus einem Flüchtlingslager in Jordanien aufgebrochen, weil er
wie viele andere auf Social Media gelesen hatte, dass es über Minsk einen leichten
Weg in die EU gebe. Er wollte dort seine Ausbildung fortsetzen, eine Chance auf ein
Leben haben. Die Regierung Lukaschenko hatte diese Desinformation systematisch
verbreitet, mit den inzwischen bekannten Folgen: Tausende machten sich auf den
Weg, vor allem aus den Kurdengebieten im Irak, aus Syrien und aus Afghanistan.
Ahmad starb Ende Oktober, zusammen mit einem irakischen Kurden, als die beiden
jungen Männer versuchten, den eiskalten Grenzfluss Bug zu durchqueren. Ob
belarussische Grenzsoldaten sie an diesen Punkt der Grenze getrieben hatten, ist
nicht verifizierbar. Aber zahlreiche Berichte sprechen dafür, dass die Militärs immer
wieder versuchen, die Migranten zum Überqueren der Zäune, Waldgebiete und
Sümpfe entlang der 400 Kilometer langen Grenze zu zwingen.

In der kleinen Moschee von Bohoniki sprach die Gemeinde in der Nacht ein paar
Gebete für Ahmad und gab ihm dann das letzte Geleit. Anwohnerin Eugenia ist
verzweifelt über die Situation ihrer Glaubensgenossen an der Grenze: „Es ist
furchtbar mit anzusehen, es ist kalt, sie erfrieren da draußen, es ist eine Tragödie.
Für mein einfaches Gemüt ist es einfach nur tragisch, ich verstehe nicht, wie man
erlauben kann, dass so etwas passiert.“

Laut neueren Entwicklungen wurden ca. 2000 Menschen aus einem der Lager an der
Grenze nun vom belarussischen Staat abgeholt und an einen anderen Ort gebracht.
In den Lagerhallen, in denen diese Menschen untergebracht werden, gibt es keine
Möglichkeit auf Privatssphäre, es ist eng gedrängt, die Leute müssen auf Matten
schlafen. Zusätzlich gibt es schon wenigstens einen bestätigten Covid-19 Fall, der
die Situation zusätzlich verschärft. Ebenso soll es bereits Rückflüge, gegen den
Willen der Geflüchteten, unter Anderem in den Irak geben. Belarus hat auch
angekündigt, weitere Flüge durchführen zu wollen. Wir sind dagegen und fordern,
dass die Geflüchteten an der Grenze nicht zurück in den Irak, nach Syrien oder nach
Afganistan müssen – oder in Lagerhallen unter menschenunwürdigen Bedingungen
untergebracht werden. Sie sollen alle die Möglichkeit bekommen, hier in der EU Asyl
zu beantragen.

Aber wie sieht Solidarität vor Ort aus? Wie auch im Falle der Seenotrettung oder der Grenzüberquerung zwischen Italien und Frankreich, der Durchquerung der Sahelzone, wird zivile Hilfe an der polnischbelarussichen Grenze kriminalisiert. Einige Bewohner*innen in der Grenzregion zeigen sich solidarisch und sammeln warme Kleidung und Lebensmittel für die
Menschen, die es schon über die Grenze geschafft haben. Jedoch dürfen
Journalist*innen und Mitarbeitende von Hilfsorganisationen das abgeriegelte
Grenzgebiet nicht betreten, was das Verteilen der Hilfsgüter erschwert.
Falls sie dabei erwischt werden, droht ihnen der Polnische Staat mit Verhaftung. Die,
die es dennoch wagen, Menschen in Not mit dem Nötigsten zu versorgen, erleben
die unbahmherzige Gewalt der selbst-ernannten Grenzschützer*innen, wenn sie
Menschen zum wiederholten mal über die Grenze zurück stoßen. Vor Ort müssen sie
im Verdeckten und in der Nacht arbeiten, um nicht erwischt zu werden. Die
Geflüchteten übermitteln den Helfer*innen per Handy ihren Aufenthaltsort. Die
polnische Polizei reagiert mit menschenverachtenden Maßnahmen um selbst das zu
unterbinden. Agata Kolodziej von der Hilfsorganisation „Ocalenie“ berichtet der
Deutschen Welle: „Das erste was die Grenzschützer machen, ist den Migranten die Handys
wegnehmen“. Dann fährt sie fort: „Manchmal versorgen wir Leute nachts im Wald, und wenn sie dann später auf Grenzschützer treffen, werden sie sofort zurückgeschoben auf die belarussische Seite. Wir treffen Flüchtlinge, die bis zu sechs oder sieben solcher Pushbacks hinter sich haben, und es immer wieder versuchen.“ Agata hat schon erlebt, wie eine weinende Frau mit kleinen Kindern aus Polen zurück in den Wald auf der Seite von Belarus verfrachtet wurde. Die Grenzwächter machten auch vor einem Herzkranken nicht halt, den die Helfer ins örtliche Krankenhaus gebracht hatten. „In der nächstesinnlosen Nacht bekamen wir von ihm
eine Handybotschaft von der anderen Seite“, berichtet Agata. Ihr Einsatz war vergebens.“

Dies zeigt, was passiert, wenn die EU sich immer weiter abschottet, mit
diktatorischen und autokratischen Regimen kooperiert, sie zu Türstehern Europas
macht. Die rechts-nationale Regierung in Polen darf sich an der Grenze austoben
und die EU setzt de facto geltendes Recht außer Kraft und verhält sich heuchlerisch.
Von den heeren Appellen an die Wahrung der Rechtstaatlichkeit in Polen war zuletzt
wenig zu hören. Tatsächlich positioniert sich die geschäftsführende Deutsche
Regierung in Form des Innenministers Seehofer demonstrativ solidarisch zu Polin.
Die EU hält sich nicht an die Standards und Ansprüche, die sie anderen aufoktruiert,
wegen derer sie andere Staaten aufgrund ihrer Machtposition sanktionieren kann.
Sie übt bereits Druck auf Transitländer aus, Flüge zu unterbinden und droht bei nicht-
Kooperation mit Sanktionen, spielt finanzielle Abhängigkeiten zu ihrem Vorteil aus.
Sie nimmt lieber tausende erfrorene und ertrunkene Geflüchtete in Kauf, als ein paar
neue Asylanträge zu haben. Und nutzt die katastrophale Situation vor Ort auch noch
als Abschreckung, damit ja bloß keine weiteren Menschen kämen, weil sie sich nicht
erpressen lassen wolle – dann sind die Menschen halt mal wieder egal.

Und das Aufrüsten geht immer weiter. In Litauen wird bereits ein Grenzzaun gebaut,
Polen möchte nach übereinstimmenden Medienberichten noch dieses Jahr mit dem
Bau eines festen Grenzzauns beginnen. Überlegt wird, dies auch durch EU-Mittel zu
finanzieren. Auch Frontex, die europäische Grenzzschutzagentur, die in den letzten
Jahren vermehrt in der Kritik steht aufgrund von Vorwürfen wegen der Unterstützung
illegaler Pushbacks und anderen Menschenrechtsverletzungen, soll bereits im
Gespräch mit Polen stehen, damit Abschiebeflüge unter Anderem in den Irak
organisiert werden können.

Kommen wir nochmal auf die illegalen Pushbacks zurück. Dies bedeutet, dass
Menschen ihres Rechts auf Asyl beraubt werden, nachdem sie schon eine
traumatisierende Flucht hinter sich haben. Laut geltendem Recht dürfen Menschen
nach dem Grenzübertritt in die EU nicht zurückgebracht werden, sie haben Anspruch
auf Schutz und menschenwürdige Unterbringung bis zum Abschluss ihres
Asylverfahrens. Hier verstoßen die Regierungen gegen Recht und die propagierten
Werte und Normen der EU. Es ist schon katastrophal, dass Geflüchtete überhaupt
illegal Grenzen überqueren müssen, das Mittelmeer und den Atlantik überqueren
müssen, um Asyl beantragen zu können, nur, weil es immer noch keine legalen und
sicheren Fluchtwege gibt, die Schutz vor physischer und sexualisierter Gewalt bieten.

Deswegen fordern wir:
Nehmt die Menschen auf! Öffnet die Grenzen!
Schafft sichere Fluchtwege!
Schafft sichere Migrationsmöglichkeiten!
Entkrimminalisierung von Fluchthelfer*innen!
Schafft die Festung Europa ab!
Wir solidarisieren uns mit allen Geflüchteten an der belarussisch-polnischen Grenze,
mit den Geflüchteten in den Lagern und auf der Flucht. Mit allen Menschen, die sie
dabei unterstützen.
Bleiberecht für alle und überall!
Say it loud, say it clear. Refugees are welcome here!