03.04.2023
Bei No Lager Osnabrück organisierte Bewohner*innen des Lagers der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in Osnabrück haben am 04.04.2023 einen Brief an die Leiterin Birgit Beylich verschickt. Diesen veröffentlichen wir hiermit ebenfalls, um die Kritik auch einem weiteren Publikum zugänglich zu machen. Die dazugehörige Pressemitteilung findet ihr hier.
Triggerwarnung: Suizid // Trigger Warning: Suicide
„Osnabrück, den 3 April 2023
Offener Brief: Beschwerde an die Leitung der Landesaufnahmebehörde in Osnabrück
Guten Tag Frau Beylich,
wir sind eine Gruppe von Bewohner*innen des Erich-Maria-Remarque-Hauses in Osnabrück und schreiben Ihnen diesen Brief, weil die Situation in dem von Ihnen geleiteten Lager für uns unerträglich ist. Wir haben versucht, Sie durch individuelle Beschwerden auf die Situation im Lager aufmerksam zu machen: Im Laufe des letzten halben Jahres haben wir immer wieder auf die bestehenden Probleme hingewiesen, mit denen wir hier als Geflüchtete – als welche wir uns sowieso schon in einer prekären Situation befinden – konfrontiert sind. Wir haben Sie auf die Missstände in den Bereichen Essen, der Bildung für unsere Kinder, der medizinischen Versorgung, dem Verhalten des Personals und die retraumatisierenden Anhörungen durch das BAMF aufmerksam gemacht. Wir haben unsere Beschwerden wiederholt über die Sozialarbeiter*innen eingereicht, doch es wurden keine Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu ändern. Dieser Brief ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Organisation gegen die unerträglichen Missstände, denen wir täglich ausgesetzt sind. Wir hoffen, dass unsere gemeinsamen Stimmen nun laut genug sind, um uns endlich Gehör zu verschaffen. Wir fordern, dass wir von nun an mit der Würde und dem Respekt behandelt werden, die uns nicht zuletzt von der von Ihnen geleiteten Institution vorenthalten wird.
Zunächst möchten wir betonen, wie viel Ungerechtigkeit im Lager herrscht. Einige von uns müssen in Containern leben, während den anderen richtige Zimmer zur Verfügung stehen. Diejenigen von uns, die in Containern leben, müssen nach draußen gehen, um Zugang zum Internet zu haben. Das Sicherheitspersonal weist sie jedoch an, die Orte, zu denen sie Zugang haben, zu verlassen. Jede*r, der*die in diesem Lager lebt, sollte Zugang zum Internet haben! Zeitweise waren wir gezwungen, in einem Gebäude ohne warmes Wasser und mit nicht ausreichender Heizung zu leben. Wir sind nicht damit zufrieden, dass nur einige von uns ein eigenes Bad haben, während andere es teilen müssen. Die Matratzen, die uns zur Verfügung gestellt werden, sind schrecklich und rauben uns den Schlaf.
Die Qualität des Essens, das uns im Lager vorgesetzt wird, ist überwiegend schlecht. Vor allem die Mahlzeiten zum Frühstück und Abendessen sind unzureichend, da sie nur aus etwas Brot, Marmelade und Käse bestehen. Das Personal in der Küche ist unfreundlich und diskriminierend. Die Ungerechtigkeit setzt sich hier fort, da einige von uns Extraportionen erhalten, während andere unhöflich abgewiesen werden. Es gibt wenig Flexibilität gegenüber denjenigen unter uns, die individuelle Bedürfnisse äußern. Wir werden ohne Respekt behandelt und sind der nationalistischen Bevorzugung durch die Mitarbeitenden ausgesetzt. Diese Art von Rassismus darf nicht toleriert werden! Zudem wird der Zugang zu Essen, Tee und Kaffee nach 19 Uhr eingestellt. Aber wir wollen selbst entscheiden, wann wir essen und wann wir trinken. Auch das ist für uns eine Frage des Respekts und der individuellen Freiheit. Einige von uns haben versucht, einen eigenen Wasserkocher oder andere Kochutensilien zu kaufen. Aber diese wurden vom Sicherheitspersonal weggenommen, obwohl die Lagerordnung den Besitz und die Benutzung eines Wasserkochers erlaubt.
Da die meisten von uns nur wenig oder gar kein Deutsch sprechen, sind Dolmetscher*innen der Schlüssel zu einem würdigen Leben in Deutschland. Doch sie fehlen überall. Wenn wir einen Termin bei eine*r Ärzt*in haben, uns aber aufgrund der fehlenden Verdolmetschung nicht richtig ausdrücken können, wie sollen wir dann gesund werden? Erschreckenderweise wurden bei einigen von uns die Anhörungen mit dem BAMF abgesagt, weil es keine Dolmetschenden gab. Für unser Asylverfahren sind wir auf Dolmetschende angewiesen. Wir werden in dieser Situation allein gelassen, in der wir die Sprache nicht kennen und daher nicht in der Lage sind, unsere Bedürfnisse mitzuteilen und unsere Rechte voll und ganz wahrzunehmen. Häufig müssen wir uns mit einer automatischen Übersetzung behelfen, die in der Regel höchst unzureichend ist.
Der Zugang zu Sprachkursen wird einigen von uns sehr schnell gewährt, während andere Monate oder sogar Jahre warten müssen. Solche Diskriminierung sind ungerecht und unzulässig. Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren haben überhaupt keinen Zugang zu Sprachkursen. Das ist ein schwerer Verstoß gegen ihre Rechte. Wir, die wir gerade erst in diesem Land angekommen sind, wollen nicht unsere gesamte Zeit mit Warten verbringen. Wir fordern Transparenz und Zugang zu Sprachkursen für alle!
Doch unsere Gesundheit beschäftigt uns mit am meisten. Die Behandlung, die wir in der Krankenstation erhalten, ist oft unzureichend. Man wird mit ernsten Erkrankungen unter der Begründung abgewiesen, dass „nur Notfälle“ behandelt würden. Regelmäßig werden uns Medikamente verschrieben, ohne uns zu erklären, was sie bewirken und welche Risiken mit ihnen verbunden sind. Menschen, die an Covid erkrankten, wurden lediglich isoliert, aber nicht angemessen behandelt. Einige von uns haben Krätze bekommen, konnten sich aber nicht isolieren oder ihre Laken nicht oft genug wechseln, um weitere Ansteckungen zu verhindern. Der*die Zahnärzt*in wollte uns die Zähne ziehen, obwohl wir das nicht für nötig halten. Wir werden – wieder einmal – nicht ernst genommen! Außerdem gibt es innerhalb des Lagers kaum Medikamente. Die Medikamente, die uns von Ärzt*innen außerhalb des Lagers zur Verfügung gestellt werden, haben in einigen Fällen Allergien ausgelöst – aber unsere Bedenken darüber wurden nicht gehört! Wir müssen Medikamente einnehmen, die unserem eigenen Körper schaden. Bei bisherigen Beschwerden war es den Ärzt*innen egal und sie sagten uns, dass wir für Behandlungen bis nach unserem Transfer warten sollten. Das medizinische Personal muss anfangen, uns zuzuhören und uns mit Respekt zu behandeln. Ohne eine angemessene Übersetzung werden kleine medizinische Probleme zu großen und einige von uns sind ernsthaft erkrankt. Manchmal finden medizinische Behandlungen sogar ohne unsere Zustimmung statt. In dieser prekären Situation wird unsere Gesundheit zu einem reinen Kostenfaktor. Solange es noch irgendwie aushaltbar ist, soll lediglich Zeit gewonnen werden.
Schließlich müssen wir noch über das Personal im Lager sprechen. Während einige Mitarbeiter*innen nett und hilfsbereit sind, wollen wir darauf hinweisen, dass insbesondere das Sicherheitspersonal oft nach seinen eigenen repressiven und willkürlichen „Regeln“ handelt. So fordern sie uns zum Beispiel auf, dass wir „woanders hingehen“ sollen, unsere Telefone nicht benutzen dürfen oder sie verbieten uns sogar in bestimmten Situationen das Sprechen. Wir haben gesehen, wie das Sicherheitspersonal während des Dienstes Alkohol getrunken hat. Dieses Verhalten ist inakzeptabel und gefährlich. Als wir die Mitarbeiter*innen der Wäscherei baten, unsere Bettlaken zu waschen, wurden wir abgewiesen und weggeschickt.
Kleidungsstücke gehen manchmal verloren, werden unzureichend gereinigt oder stinkend von der Wäscherei zurückgegeben. Selbst hier werden einige von uns bevorzugt, während andere vernachlässigt werden und keine neuen Kleidungsstücke erhalten. Einzelne Mitarbeiter*innen in der Verwaltung haben uns äußerst unangemessene Fragen zu unserer privaten Situation gestellt. Als wir versuchten, Dokumente und Ausweise zu erhalten, gingen sie sogar so weit, unsere Gründe für die Einreise nach Deutschland infrage zu stellen. Einer Ihrer Mitarbeiter, der in der Registrierungs- und Transferabteilung arbeitet, sagte einigen von uns, dass die Situation in unseren Ländern „gut“ sei, dass wir keinen Grund hätten, hier zu sein, und dass wir unsere Pässe abgeben sollten. Dieser Mitarbeiter versuchte uns Angst einzujagen, indem er sagte, dass unsere Fingerabdrücke gefunden wurden. Was wir erleben, ist Psychoterror. Wir fordern die respektvolle Behandlung, die uns zusteht!
Aufgrund all dieser Umstände haben die Menschen Angst, sich zu äußern und zu beschweren. Sie befürchten zu Recht, dass ihr Leben noch elender werden wird. Wir möchten betonen, dass diese Lage besonders für die Menschen belastend ist, die ohne ihre Familien im Lager leben und sich dieser Situation allein stellen müssen. Die Lagerbewohner*innen unter ihrer Zuständigkeit sind suizidgefährdet, dazu gibt es sogar Medienberichte [1]. Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis Ihres Handelns!
Wir sind es leid, zu warten. Wir sind es leid, uns sagen zu lassen, dass es nach dem Transfer schon besser werden wird. Wir wollen selbst entscheiden, wo wir leben, was wir essen und wie wir behandelt werden. Angeblich ist Deutschland eine Demokratie. Offensichtlich sind wir als Geflüchtete nicht inbegriffen. Wir leben in den Lagern einem dunklen Tunnel, aber wir wollen Licht sehen!
Wir fordern ein würdiges Leben für alle Menschen!
No Lager Osnabrück
Dieses Schreiben wird unterstützt von:
Jugendliche ohne Grenzen Osnabrück, Solidarity City Osnabrück, DGB-Region Osnabrück-
Emsland-Grafschaft Bentheim, Eleganz Bildungsplattform e.V., Refugee Law Clinic Osnabrück e.V. & Feministisches Streikbündnis Osnabrück“
Trigger Warning: Suicide
„Osnabrück, 3rd of April 2023
[the English version will be uploaded within the next days]
No Lager Osnabrück
This letter is supported by:
Jugendliche ohne Grenzen Osnabrück, Solidarity City Osnabrück, DGB-Region Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim, Eleganz Bildungsplattform e.V., Refugee Law Clinic Osnabrück e.V. & Feministisches Streikbündnis Osnabrück“