Offener Brief von Flüchtlingen aus dem Abschiebelager Bramsche-Hesepe

*English version below*

Über 500 Flüchtlinge aus über 30 Nationen sind gezwungen, in dem Lager in Bramsche-Hesepe zu leben. Unter ihnen befinden sich ca. 150 Kinder jeden Alters.

Jeder und jede in dem Lager hat seine/ihre Gründe, weshalb er/sie fliehen mußte. Es war die Flucht vor Verfolgung aus politischen, religiösen Gründen oder geschlechtsspezifische Verfolgung, es war die Flucht oder die Vertreibung wegen Krieg, Armut und Hunger. Niemand hat sich den Weg leicht gemacht, niemand verlässt gerne seine/ihre Heimat, auch wenn dort Schreckliches passiert ist. Viele haben zudem Traumatisierendes auf der Flucht erlebt, das sie nun ein Leben lang begleiten wird.
Mit der Flucht wird die Hoffnung auf ein Leben in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit verbunden, ein Leben, in dem auch die Kinder eine Perspektive auf Bildung und menschenwürdiges Leben haben.
Doch die Hoffnung, nach der beschwerlichen Flucht endlich in einem ruhigen Leben angekommen zu sein, wird durch die Unterbringung in dem Lager fast vollends zunichte gemacht. Wir wollen hier einige Punkte herausstellen, die das Leben im Lager neben vielen anderen Punkten besonders unerträglich machen und die Würde des Menschen verletzten – das Leben in einem Lager, das eigentlich geschlossen werden müßte. Zu diesen Punkten fordern wir dringend das Gespräch mit den Verantwortlichen, um eine Änderung im Sinne eines menschenwürdigen Lebens herbeizuführen:

1. Versorgung mit Essen / Kantine: Es ist in dem Lager nicht erlaubt, sich mit Essen selbst zu versorgen. Dafür werden weder die Geldmittel noch die Möglichkeiten zur Verfügung gestellt. Stattdessen gibt es nur die Möglichkeit, in der Kantine zu den vorgeschriebenen Zeiten zu essen. Dort ist das Essen einseitig und es wird zu wenig auf kulturelle und religiöse Besonderheiten geachtet. Das Essen ist nicht gesund, da es weder ausgewogen noch vitaminreich ist. Zudem kommt es immer wieder zu Rationierungen. Besonders bestimmtes Obst, Gemüse und Salat wird abgezählt und bei Bedarf wird über die Ration hinaus eine weitere Ausgabe verweigert. Auf die Ernährungsbedürfnisse von Kindern wird keine Rücksicht genommen. Auch erhalten schwangere Frauen und Mütter mit Säuglingen keine erforderliche Zusatznahrung.
Die Situation spitzt sich zu, wenn der Aufenthalt in dem Lager länger dauert, was für Viele der Fall ist. Eltern stellen fest, daß ihre Kinder zunehmend unterernährt sind. Das führt zu der menschenunwürdigen Situation, daß Eltern in die Orte Hesepe und Bramsche gehen, um in den Abfallcontainern der Supermärkte nach Lebensmitteln zu suchen. Oder es wird das wenige Geld, was sie erhalten für Lebensmittel ausgegeben und fehlt dann für wichtige andere Bedürfnisse. Es ist unerträglich, wenn Eltern ihren Kindern immer wieder sagen müssen, wir können dir das was du brauchst nicht geben, weil wir es nicht haben.
Forderung: Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, daß die BewohnerInnen des Lagers selbständig ihre Lebensmittel beschaffen und zubereiten können! Die Kantine muß geschlossen werden!

2. Medizinische Versorgung: Es ist unzureichend, daß es für über 500 BewohnerInnen nur die Sanitätsstation gibt, die mit einer Krankenschwester besetzt ist, die nur tagsüber erreichbar ist und lediglich zweimal die Woche ein Allgemeinmediziner das Lager besucht. Es ist nicht hinnehmbar, daß Beschwerdebilder von PatientInnen nicht ernst genommen werden und anstelle einer Diagnostik und Therapie die Gabe von Paracetamol erfolgt. Es kann lebensbedrohlich sein, wenn – wie es in dem Lager geschieht – der Besuch von Fachärzten verweigert wird. Es ist mit der medizinischen Ethik nicht vereinbar, wenn Therapien oder Eingriffe verweigert werden, weil die Sozialbehörde diese als „zu teuer“ einstuft. Es ist fahrlässig, wenn kranke Menschen mit dem Fahrrad zum Arzt geschickt werden, zu Behandlungen, bei denen unter Umständen anästhesiert wird, und sie damit einer vermeidbaren Gefahr ausgesetzt werden.
Forderung: Krankheiten und Beschwerden müssen ernst genommen und untersucht werden. Das Recht auf freie Arztwahl muß gewährleistet sein!

3. Schulische Situation / Bildung: Das Recht auf Schule wird mit der Lagerschule nicht eingelöst. Zwei Unterrichtsstunden am Tag gewährleisten keine angemessene Bildung. Zumal die Kinder nur in den Fächern Deutsch und Mathematik unterrichtet werden. Viele Kinder, die diese Schule besuchen, haben eine Vorbildung mit der sie unter diesen Bedingungen nichts hinzulernen, manche machen Rückschritte in ihrem Wissen.
Hinzu kommt, daß sich LehrerInnen den Kindern gegenüber verhalten, als seien sie von der Ausländerpolizei. Sie stellen Befragungen an über Flucht und Fluchthintergründe der Familien, deren Ergebnisse offensichtlich in die Ermittlungen der Ausländerbehörde eingehen.
Lernmittel werden den Kindern nur unzureichend zur Verfügung gestellt. Die Finanzierung von Lernmitteln, die Lehrkräfte verlangen, daß sie die Kinder mitbringen (auch einfache Dinge wie Zeichenblock und Malkasten), wird von Seiten der Sozialbetreuer verweigert.
Es ist vielen Kindern unmöglich, außerhalb der Unterrichtszeit für sich zu lernen, weil sie in der Enge der Zimmer, in denen sich immer mehrere Personen aufhalten, nicht die Ruhe dafür finden.
Für die BewohnerInnen, die nicht mehr der Schulpflicht unterliegen gibt es außer dem Deutschkurs keine Bildungsangebote.
Forderung: Den Kindern muß das Recht gegeben werden, die Regelschule zu besuchen! Gegebenenfalls kann der Aufwand, der nun für die Lagerschule betrieben wird, dazu genutzt werden, Förderunterricht an den Schulen anzubieten, falls Sprach- oder andere Probleme bestehen. Auch Erwachsene haben ein Recht auf Bildung, es müssen entsprechende Angebote gemacht werden.

4. Übersetzungen: Es stehen häufig keine Dolmetscher zur Verfügung. Lediglich bei bestimmten Vorladungen zur Ausländerbehörde. Vorladungen und sonstige offizielle Schreiben sind grundsätzlich auf Deutsch verfasst. Bei den gewährleisteten Übersetzungen besteht oft der Eindruck, als wären die anwesenden Dolmetscher parteiisch und die Übersetzungen nicht immer korrekt.
Für Arztbesuche werden grundsätzlich keine Übersetzer zur Verfügung gestellt, stattdessen befindet sich ein Schild an der Wand, mit der Aufschrift, daß sich die PatientInnen selbst um Übersetzungen zu kümmern hätten
Forderung: Es müssen für alle relevanten Angelegenheiten unparteiische ÜbersetzerInnen zur Verfügung gestellt werden!

5. Drogenproblematik: Offensichtlich haben eine ganze Reihe von Flüchtlingen Probleme mit Drogen, so daß es regelmäßig zum Konsum von Drogen auf dem Gelände des Lagers kommt. Diese Situation wird weitgehend von der Sozialbehörde ignoriert. Offensichtlich wird Drogenkranken keine Hilfe angeboten. Der Alltag der anderen BewohnerInnen wird durch den Drogenkonsum stark beeinträchtigt. Randerscheinungen des Drogenkonsums sind Belästigungen, Kriminalität und unhygienische Verhältnisse durch gebrauchte Spritzbestecke z.B. auf den Toiletten.
Forderung: Probleme aufgrund von Drogenkonsum müssen ernst genommen werden! Auch Beschwerden von BewohnerInnen, die durch die Drogenprobleme beeinträchtigt werden, müssen ernst genommen werden und es müssen Lösungen gefunden werden.

6. Wohnsituation / Sanitäre Anlagen: Es ist unerträglich, wenn sich mehrere Menschen oder ganze Familien nur einen Raum teilen müssen. Eine Privat- und Intimsphäre ist dadurch nicht gewährleistet. Erwachsene und Kinder stören sich zwangsläufig in ihren Bedürfnissen.
Für Viele – besonders Frauen und Kinder – werden hygienische Bedürfnisse zur Qual, da es nur gemeinschaftliche sanitäre Anlagen für jeden Flur gibt. Diese Situation ist Einigen aufgrund religiöser und kultureller Vorgaben unerträglich. Manche Frauen verbringen mit ihren Kindern die meiste Zeit des Tages auf dem Zimmer, unterbrochen von eiligen Gängen zu den sanitären Anlagen, manche Kinder müssen bei jedem dieser Gänge begleitet werden. Außerdem ist es kalt auf den Fluren, besonders für Kinder besteht die Gefahr von Infektionen, wenn sie nach dem Waschen und Duschen in die Zimmer zurückgehen müssen. Die Zimmer selbst sind oft nicht ausreichend beheizbar.
Da in dem Lager immer wieder Probleme aufgrund von Drogenkonsum entstehen, können viele Kinder selten unbeaufsichtigt die Zimmer verlassen. Spätestens bei Einbruch der Dunkelheit müssen sie in die Enge der Räume zurück. Und wenn die Kinder draußen sind, werden sie häufig von Hausmeistern mit allen möglichen Verboten belegt, so daß sie sich nicht einmal innerhalb des Lagers frei bewegen können.
Forderung: Allen muß mehr Raum zugestanden werden! Besonders für Kinder müssen Freiräume geschaffen werden, in denen sie sich kindgerecht entfalten können!

Die hier aufgeführten Punkte lassen eigentlich nur eine zentrale Forderung zu: Dezentrale Unterbringung aller Flüchtlinge!

Diese Punkte sind nur die wichtigsten Forderungen, die ein einigermaßen menschliches und erträgliches Leben ermöglichen sollen, bis die Forderung nach dezentraler Unterbringung eingelöst ist. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Die aufgeführten Forderungen spiegeln nur einen Teil der sozialen Probleme wider, die dieses Lager zu einem System der Unmenschlichkeit machen. Für die BewohnerInnen des Lagers in Hesepe ist der Begriff „Lager“ gleichbedeutend mit dem Begriff „Probleme“ geworden.
Diese sozialen Probleme werden besonders in der Situation als Flüchtlinge zu entscheidenden Problemen, die dazu führen, daß sich Menschen in ihrer menschlichen Würde verletzt, in ihrem Menschsein missachtet fühlen und ihr Selbstwertgefühl verlieren. Denn Flüchtling zu sein bedeutet, ein Leben in Angst vor Abschiebung, ein Leben, in dem der deutsche Staat keine Perspektive gewähren will, ein Leben, in dem viele Rechte, wie das Recht auf Arbeit und Bewegungsfreiheit vorenthalten werden.
Viele Menschen sind in dieser Situation psychisch am Ende und krank. Es sollte das Mindeste sein, daß elementare menschliche Bedürfnisse erfüllt werden.

 

 

English version, translated online:

More than 500 refugees from over 30 nations are forced to live in the camp in Bramsche-Hesepe. Among them are about 150 children of all ages.

Each and everyone in the camp has his/her reasons why he/she had to flee. It was escape from persecution for political, religious reasons or gender-specific persecution, it was flight or expulsion because of war, poverty and hunger. No one’s journey was easy, no one likes to leave his/her homeland, even if terrible things happened there. Many have also experienced traumatic events during their flight, which will now accompany them for the rest of their lives.

Flight is associated with the hope of a life in peace, freedom and justice, a life in which children also have a perspective of education and a dignified life.
But the hope of finally arriving at a peaceful life after the arduous flight is almost completely destroyed by the accommodation in the camp. We would like to highlight a few points here that, among many other points, make life in the camp particularly unbearable and violate human dignity – life in a camp that should actually be closed. We urgently demand a discussion with the responsible persons on these points in order to bring about a change in the sense of a dignified life:

1. food supply / canteen: It is not allowed in the camp to provide oneself with food. Neither the funds nor the facilities are provided for this. Instead, there is only the possibility to eat in the canteen at the prescribed times. There, the food is one-sided and too little attention is paid to cultural and religious characteristics. The food is not healthy, as it is neither balanced nor rich in vitamins. In addition, there is always rationing. Particularly certain fruits, vegetables and salads are counted out and, if necessary, further serving beyond the ration is refused. No consideration is given to the nutritional needs of children. Also, pregnant women and mothers with infants do not receive necessary supplementary food.
The situation comes to a head when the stay in the camp is prolonged, which is the case for many. Parents find that their children are increasingly malnourished. This leads to the degrading situation that parents go to the towns of Hesepe and Bramsche to look for food in the waste containers of the supermarkets. Or the little money they receive is spent on food and is then lacking for important other needs. It is unbearable when parents have to tell their children again and again, we can’t give you what you need because we don’t have it.
Demand: Possibilities must be created so that the camp residents can procure and prepare their own food! The canteen must be closed!

2. medical care: It is insufficient that there is only one medical station for over 500 residents, staffed by a nurse who is only available during the day and only twice a week a general practitioner visits the camp. It is unacceptable that patients‘ symptoms are not taken seriously and that paracetamol is given instead of diagnosis and therapy. It can be life-threatening if – as it happens in the camp – the visit of specialists is refused. It is not compatible with medical ethics if therapies or interventions are refused because the social authorities deem them „too expensive“. It is negligent when sick people are sent to the doctor by bicycle for treatments that may involve anaesthesia, exposing them to avoidable danger.
Demand: Illnesses and complaints must be taken seriously and examined. The right to choose one’s own doctor must be guaranteed!

3. school situation / education: The right to school is not fulfilled with the camp school. Two lessons a day do not guarantee an adequate education. Especially since the children are only taught German and mathematics. Many children who attend this school have a previous education with which they do not learn anything under these conditions; some regress in their knowledge.
In addition, teachers behave towards the children as if they were from the foreigners‘ police. They question the families about their flight and the reasons for their flight, the results of which are obviously used in the investigations by the foreigners authority.
The children are not provided with sufficient learning materials. The funding of learning materials that teachers require the children to bring with them (even simple things like drawing pads and paint boxes) is refused by the social workers.
It is impossible for many children to study for themselves outside of class time because they cannot find the peace and quiet to do so in the confines of the rooms where there are always several people.
For the residents who are no longer subject to compulsory education, there are no educational offers apart from the German course.
Demand: The children must be given the right to attend regular school! If necessary, the effort now spent on the camp school can be used to offer remedial education at the schools if there are language or other problems. Adults also have a right to education, appropriate provision must be made.

4. translations: Interpreters are often not available. Only for certain summonses to the foreigners authority. Summonses and other official letters are generally written in German. The translations provided often give the impression that the interpreters present are biased and the translations are not always correct.
For doctor’s visits, no translators are provided as a matter of principle; instead, there is a sign on the wall with the inscription that the patients have to take care of translations themselves.
Demand: Impartial translators must be provided for all relevant matters!

5. drug problems: Obviously, quite a number of refugees have problems with drugs, so that there is regular use of drugs on the camp premises. This situation is largely ignored by the social authorities. Obviously, no help is offered to drug patients. The everyday life of the other residents is severely affected by drug use. Side effects of drug use are harassment, crime and unhygienic conditions due to used spray utensils, e.g. in the toilets.
Demand: Problems due to drug use must be taken seriously! Complaints from residents who are affected by drug problems must also be taken seriously and solutions must be found.

6. housing situation / sanitary facilities: It is unbearable when several people or whole families have to share only one room. This does not guarantee privacy and intimacy. Adults and children inevitably interfere with each other’s needs.
For many – especially women and children – hygienic needs become a torment as there are only communal sanitary facilities for each corridor. This situation is unbearable to some because of religious and cultural requirements. Some women spend most of the day in their rooms with their children, interrupted by hurried trips to the sanitary facilities; some children have to be accompanied on each of these trips. Moreover, it is cold in the corridors, especially for children there is a risk of infection when they have to go back to the rooms after washing and showering. The rooms themselves are often not sufficiently heatable.
Since problems due to drug use repeatedly arise in the camp, many children can rarely leave the rooms unsupervised. At the latest when darkness falls, they have to return to the confines of the rooms. And when the children are outside, they are often banned from all kinds of activities by caretakers, so that they cannot even move freely within the camp.
Demand: Everyone must be given more space! Especially for children, free spaces must be created in which they can develop in a child-friendly way!

The points listed here actually only allow for one central demand: Decentralised accommodation for all refugees!

These points are only the most important demands that should enable a reasonably humane and bearable life until the demand for decentralised accommodation is met. There is an urgent need for action. The demands listed reflect only a part of the social problems that make this camp a system of inhumanity. For the residents of the camp in Hesepe, the term „camp“ has become synonymous with the term „problems“.
These social problems become crucial problems, especially in the situation as refugees, which cause people to feel violated in their human dignity, disregarded in their humanity and lose their self-esteem. Being a refugee means a life in fear of deportation, a life in which the German state does not want to grant any perspective, a life in which many rights, such as the right to work and freedom of movement, are withheld.
Many people in this situation are psychologically at the end of their tether and ill. It should be the least that elementary human needs are met.