Archiv der Kategorie: Redebeiträge

Redebeitrag von der Demo „Solidarität gegen rassistische Abschottungspolitik“

Normalerweise beginnen solche Redebeiträge mit einer Aufzählung der Gründe, warum wir uns hier heute versammelt haben. Und davon gibt es wahrlich mehr als genügend. Gleichzeitig fühlt es sich komisch an, diese immer wieder zu wiederholen – auch, weil sie mittlerweile echt jedem Menschen bekannt sein sollten – aber vor allem, weil dies nicht die erste Demo dieser Art ist, sich aber an der menschenverachtenden Abschottungspolitik der EU und ganz vorn dabei Deutschlands eben nichts ändert – bzw. schon, aber seit Jahren nur zum Schlimmeren.
Nicht erst seit dem Brand von Moria im September wissen wir, dass die Lebensbedingungen an den europäischen Außengrenzen katastrophal sind. Das wussten wir schon, als Erdogan den Deal mit der EU platzen ließ – aber auch schon, als einige Zeit zuvor die EU eben jenen widerlichen Deal mit der türkischen Rechtsaußen-Regierung schloss, damit diese „uns Europäer*innen“ die unliebsamen Geflüchteten vom Hals halte – mit allen Mitteln die ihr zur Verfügung standen – einer vermeintlich „demokratischen Wertegemeinschaft“ namens Europäische Union aber eben nicht. Das Prinzip Guantanamo in „light“, sozusagen.
Wir wussten um die fürchterlichen Umstände bereits zu Beginn der sogenannten Krise, als sich mehrfach große Ansammlungen von verzweifelten Menschen bildeten – sowohl an Europas Grenzen – 2015 in Idomeni – als auch innerhalb der EU – 2015/16 im sogenannten „Jungle“ in Calais, an der Einfahrt zum Eurotunnel.
Kurz: Wir wissen schon lange genug Bescheid. Wir wissen, dass die EU ertrunkene Menschen im Mittelmeer ein paar hundert neuen Asylanträgen vorzieht. Wir wissen, dass staatliche Seenotrettung nicht mehr existiert, während die private Seenotrettung öffentlich verunglimpft und kriminalisiert wird. Obwohl hier Bürger*innen schlicht mehr Menschlichkeit beweisen, als sämtliche Regierung europäischer Staaten.
Wir wissen, das Politiker*innen Abschiebungen fetischisieren und öffentlich zelebrieren wobei ihnen die menschlichen Kosequenzen komplett egal sind. Und wir wissen: Wenn sich Seeleute an die Regeln ihres Arbeitsbereichs halten und Schiffbrüchige retten, müssen diese nun mit Schikane und indirekten bis direkten Strafen rechnen.
Wir haben uns also sehr gut an das gewöhnt, was teils als „Rechtsruck“ oder auch als „Diskursverschiebung“ bezeichnet wird. Wir reden uns ein, Merkel hätte mit ihrem viel-zitierten „Wir schaffen das“ wirklich eine humane Lösung gemeint. Stattdessen wurde das deutsche Asylrecht (seit Jahrzehnten) nur verschärft und weiter verschärft, sodass es heute diesen Namen nicht mehr verdient. Es ist eine Sammlung von Regelungen zur systematischen Schikane und psychischen Unterdrucksetzung von Geflüchteten, auf dass diese möglichst gleich wieder von selbst verschwinden mögen. Wobei diejenigen, die in Sammellagern ausharren, sich noch glücklich schätzen können im Vergleich zu denjenigen, die eben an den europäischen Außengrenzen faktisch zum (vor sich hin-) Vegetieren verurteilt sind.
Seit Corona hat sich die Situation durch Lockdowns von Camps und fehlende Möglichkeiten zur Einhaltung der Hygieneregeln für Menschen auf so engem Raum weiter verschärft. Nach dem Brand im Flüchtlingscamp Moria letzten Monat mussten die Geflüchteten ganz offiziell als Obdachlose leben, solange keine neue Unterbringung stattfand. Und selbst neu errichtete Camps auf Lesbos sind keine Besserung, sondern nur eine Verlagerung des alten Problems. So wird teilweise an den Orten, an denen die Menschen „untergebracht“ sind, von Soldat*innen noch nach Minen gesucht. Derzeit sind die Lager von Herbststürmen und Überschwemmungen heimgesucht, und danach droht auch schon der nahende Winter mit eisigen Nächten in Zelten und unter Plastikplanen.
Im neuen Moria stehen den dort untergebrachten Menschen kaum Duschen und Wasserstellen zur Verfügung. Kaum Desinfektionsmittel, kaum Seife sowieso keine Möglichkeit, Abstand zu halten! Und das in Zeiten von Corona! Wie können wir diese Situation anders verstehen, als dass die Behörden und die EU, die Politiker*innen generell, aktiv versuchen, die bereits katastrophale Situation weiter zu verschlimmern!
Das ist nicht nur ein Ignorieren der Situation der Geflüchteten, sondern ein aktives Unterlassen von Hilfeleistungen seitens der EU und ihrer Mitgliedsstaaten!
Griechische Regierungsmitglieder hatten bereits offen ausgesprochen, dass die unerträglichen Zustände im Lager Moria Geflüchtete abschrecken sollten. Der Minister für Wirtschaftsentwicklung und Investitionen und stellvertretende Vorsitzende der konservativen Nea Dimokratia (ND), Adonis Georgiadis, sagte Anfang März im griechischen Fernsehen: »Damit die Flüchtlingsboote nicht mehr kommen, müssen diejenigen, die auf die Boote steigen, aufhören, die Schmuggler für die Überfahrt zu ­bezahlen. Um dies zu gewährleisten, müssen sie von den bereits hierhin Gelangten erfahren, dass sie hier eine schlechte Zeit haben werden, dass wir sie einsperren und dass sie hier nicht tun können, was sie wollen.« Georgiadis betonte, die Unterbringung in den ­Lagern könne ein Leben lang andauern.
Dies ist die Realität: Demokratische Regierungen spekulieren auf das mentale sowie körperliche Brechen von tausenden von Menschen, deren einzige Straftat offenbar darin bestand, ihre Heimat verlassen zu haben – und nach Europa kommen zu wollen. Dazu sollen also Lager helfen. Soweit ist der Diskurs also schon nach Rechts verschoben! Ein Blick in die (deutsche) Geschichte zeigt jedoch: Sich von der extremen Rechten – sei es in Form der AfD, esoterischer Verschwörungstheoretiker*innen oder Rassist*innen im Staatsdienst – vorhertreiben zulassen, führt nicht zu deren Verschwinden. Im Gegenteil, die politische Rechte wird so seit Jahren staatlich gestärkt und gefördert.
Wir haben zu der heutigen Demo aufgerufen, ohne einen großen Ankündigungstext zu verfassen und wir haben heute eines der breitesten Bündnisse seit langem auf die Straße bekommen. Offenbar scheint der Titel „Gegen rassistische Abschottungspolitk“ schon zu reichen – er ist selbsterklärend. Diese Tatsache bedeutet aber auch, dass es eben nicht wenige gibt, die ebenso wie wir von No Lager keinen Bock mehr darauf haben, uns den gesellschaftlichen Diskurs von Nazis und Spinner*innen diktieren zu lassen. Unsere Schlussworte wollen wir daher jenen zuwenden, die noch nicht dem solidarischen und kämpferischen Ausverkauf zum Opfer gefallen sind:
Wir sind heute hier, weil tausende Geflüchtete in Moria und anderen Orten noch immer daran
gehindert werden, unter humanen Bedingungen zu leben!
Auch 5 Jahre nach dem „Sommer der Willkommenskultur“ und all der Fürchterlichkeiten seitdem, ist das noch immer ganz klar falsch und muss geändert werden.
Deswegen sagen wir heute erneut: „Wir haben Platz!“ Für uns ist klar: weder hier noch irgendwo anders – leave no one behind!
Wir zeigen uns solidarisch mit allen Geflüchteten in den griechischen Lagern und Lagern in anderen Ländern und den mutigen Menschen auf der Flucht übers Mittelmeer, mit den Hilfsorganisationen der zivilen Seenotrettung wie Sea Watch, Sea Eye oder Mare Liberum und wir danken denjenigen, die sich nicht trotz, sondern eben wegen der Corona-Krise solidarisch zeigen und sich aktiv gegen strukturellen Rassismus, kapitalistische Ausbeutung und weiße Vorherrschaft einsetzen.
2015, 2020, egal. Der alte Spruch gilt nach wie vor: Say it loud, say it clear. Refugees are welcome here!

Redebeitrag von der Moria-Soli-Demonstration


Im Folgenden unser Redebeitrag von der gestrigen Soli-Demonstration in Osnabrück zum Brand von Moria.
In der heutigen Nacht ist das Geflüchtetenlager Moria auf der griechischen Insel Lesbos abgebrannt.
Die Katastrophe hätte vermieden werden können. Seit August 2019 waren die prekären Zustände bekannt. Statt geplanten 3000 Bewohner*innen waren es zwischenzeitlich im März dieses Jahres etwa 20.000, zuletzt im September immer noch 13.000 Geflüchtete die in dem Camp untergebracht waren. Die letzten Monate wurde immer wieder von diversen Hilfsorganisationen auf die völlig menschenunwürdigen Lebensbedingungen innerhalb des Lagers aufmerksam gemacht und immer wieder änderte sich nichts.
Letzte Woche wurden erstmals Corona-Infektionen innerhalb des Camps bekannt. Durch die damit verbundenen Isolationsmaßnahmen verschlechterte sich die Situation zusätzlich für die Bewohnerinnen. Vor einigen Tagen wurden noch in Erinnerung an die Situation vor dem Reichstagsgebäude 13.000 Stühle aufgestellt – nur, um die altbekannte Antwort von der Regierung zu bekommen: Eine Lösung des „Problems“ könne Europa nur gemeinsam finden. Ein Europa wohlgemerkt, in dem einzelne Mitgliedsstaaten die Aufnahme von Geflüchteten grundsätzlich verweigern. Ein Europa, welches die sich zunehmend zuspitzende Situation selbst verursacht hat, weil es sich die Beziehungen mit der Türkei nicht verspielen wollte. Ein Europa, das lang und breit diskutiert, ob nun ein kleiner oder ein noch kleinerer Bruchteil der Geflüchteten aufgenommen werden soll.
Ein Europa, von dem auch Deutschland ein Teil ist. Das Deutschland, dessen Innenminister sich zum Geburtstag lautstark über die Abschiebung von Menschen freut und Sätze äußert wie der, dass er sich „bis zur letzten Patrone“ gegen „eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme“ wehren wird. Das Deutschland, ein Land mit 83 Millionen Einwohnern, welches im Mai nur in der Lage war lächerliche 47 Menschen aus Griechenland aufzunehmen. Das Deutschland in dem vorletzten Samstag 38.000 Menschen umringt von Reichskriegsflaggen wegen ein bisschen Stoff im Gesicht auf die Straße gegangen sind. Das Deutschland in dem erst heute eine von der Linksfraktion beantragte „Aktuelle Stunde“ zum Thema im Bundestag durch die Gegenstimme der AfD verhindert wurde.
Ja, es gibt einzelne Kommunen die ihre Bereitschaft signalisiert haben weitere Menschen aufzunehmen. Im Fall Osnabrück, eine Stadt die als sogenannter „sicherer Hafen“ ausgezeichnet ist, stellt dies in unseren Augen allerdings nichts weiter als ein wertloses Lippenbekenntnis dar. Unabhängig davon wird diese Bereitschaft aber auch nach wie vor von der Bundesregierung und vor allem eben schon erwähntem Innenminister blockiert. Ein solches Lippenbekenntnis stellte übrigens auch der Besuch des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, in Moria vor einigen Wochen dar, als er im Anschluss, als hätte er zuvor nie etwas von den katastrophalen Zuständen dort mitbekommen, lautstark die EU zum Wachwerden aufrief.
Im Internet kursiert jetzt schon das Gerücht, das Feuer sei von Bewohner*innen selbst gelegt worden und diese hätten die Löscharbeiten der Feuerwehr behindert. Dabei außen vor gelassen wird, dass das Lager in der Vergangenheit immer wieder gewalttätigen Angriffen durch Neo-Nazis ausgesetzt war und dies nicht selten ohne jedwede Intervention vonseiten der Polizei. Und selbst, wenn sich herausstellen sollte, dass das Feuer von den Bewohner*innen gelegt sein sollte: Wer sind wir, Menschen die seit Monaten unter diesen Bedingungen zusammengepfercht leben müssen, die sich von der Politik komplett im Stich gelassen fühlen, vorzuschreiben wie diese ihrer Wut und Verzweiflung Ausdruck verleihen sollen? Die Bewohner*innen sind Opfer einer Politik, welche die Aufnahme von Geflüchteten scheinbar nicht bewältigen will und stattdessen lieber der Grenzschutzbehörde Frontex ein Budget von 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, um Migration zu verhindern. Diese rassistische Politik und das mit ihr verbundene Leid senden ein klares Signal nach Außen: In Europa seid ihr nicht willkommen.
An dieser Stelle könnten wir jetzt die sofortige Schließung sämtlicher Lager, die Aufnahme aller Geflüchteten und sichere Fluchtrouten nach Europa fordern. Das haben wir und viele andere in der Vergangenheit schon unzählige Male getan, nur um dann immer wieder festzustellen das nichts passiert. Stattdessen verschwindet das Thema in den Medien immerzu genauso schnell wie es zuvor gekommen ist. Es wird versucht die Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, unsichtbar zu machen. Man sperrt sie in irgendwelche Komplexe in der Hoffnung, das niemand etwas davon mitbekommt. Sie sollen vergessen werden, sonst könnte es ja unbequeme Fragen geben. Eben jene Fragen die gestellt werden, wenn ein Mensch einfach so über Nacht verschwindet. Deshalb lautet unsere Forderung hinzuschauen, nicht zu vergessen, die Menschen sichtbar zu machen. Das bedeutet auch die zuständigen Behörden immer wieder daran zu erinnern, dass wir ihre Ausflüchte so nicht länger hinnehmen werden. Egal ob auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene. Wir müssen uns einsetzen wie und wo immer es möglich ist, denn nur solidarisch können wir dieser Scheiße entgegentreten!
Für ein besseres Morgen – gegen die Festung Europa!