PM von No Lager: Zur Demonstration des „Netzwerk gegen Rassismus“ am 04.09.15

Pressemitteilung zur Demonstration des „Netzwerk gegen Rassismus“ am 04.09.2015:
+++ Solidarität mit ALLEN Geflüchteten – gegen die rassistischen Zustände! +++
als pdf-Datei: PM_Solidarität mit allen Geflüchteten_ 3.9.15

+++ 60 Mio. Menschen weltweit auf Flucht +++ Seit Beginn 2015 fast täglich rassistische Übergriffe auf Geflüchtete(nunterkünfte) in Deutschland +++ Es geht um Menschen, nicht um Waren und um Willkommenskultur, nicht um militarisierte Abschottung +++ Lager Bramsche-Hesepe aktuell über 4000 Menschen auf Fläche für 600 +++ Angespannte Stimmung im Dorf Hesepe nutzt NPD für rassistische Hetze durch Verteilen von Flyern +++ Wachsender selbstorganisierter Widerstand von Geflüchteten +++ No Lager-Gruppe lehnt Lagerunterbringung grundsätzlich ab, da Ausdruck von institutionellem Rassismus +++

Weltweite Missstände zwingen derzeit 60 Millionen Menschen in die Flucht. Grund dafür ist unter Anderem die Zerstörung von Heimatländern als Folge von neokolonialer und kapitalistischer Ausbeutung durch “westliche“ Staaten – Deutschland ganz vorn dabei.

Währenddessen werden Grenzen immer höher, durch Grenzschutzagenturen wie Frontex oder durch paramilitärische Polizeieinheiten wie die Guardia Civil immer gefährlicher und somit immer tödlicher.

Für die meisten Menschen, die die hoch militarisierten Grenzen überwinden und nach oftmals traumatischen und lebensgefährlichen Fluchtrouten die BRD erreichen, setzt sich Verfolgung, Diskriminierung und Rassismus fort.

Seit Beginn des Jahres 2015 hat es durchschnittlich fast täglich einen rassistischen Übergriff auf Geflüchtetenunterkünfte und Einzelpersonen in Deutschland gegeben. Die Zahlen der Angriffe übersteigen schon jetzt die des gesamten Jahres 2014.

Die aktuelle Situation in Deutschland zeigt rassistische Hetze, rechte Gewalt und menschenverachtende faschistische Eskalation. Meldungen von Anschlägen, brutalen Übergriffen und Brandlegungen gegen Unterkünfte geflüchteter Menschen häufen sich derzeit massenhaft: Tröglitz, Heidenau, Freital, Suhl, Marzahn, Aue und Hameln stehen hier nur beispielhaft für die fortwährende Demütigung, die maßlosen Diskriminierungen und den ekelerregenden eskalierenden Rassismus in Deutschland.

Wie niedrig muss die Hemmschwelle sinken um brennende Molotow-Cocktails in geschlossene Räume zu werfen? Das ist versuchter Mord!

Besonders schockierend dabei ist, dass es sich hierbei nicht nur um organisierte Neonazistrukturen handelt, sondern sich dem rassistischen Mob ein zunehmend bürgerliches Spektrum anschließt – nämlich die sogenannten „besorgten Bürger_innen“. Dafür bietet nicht zuletzt die rechtspopulistische PEGIDA-Bewegung eine immense Plattform.

Geschichte wiederholt sich: Wie Anfang der 90er Jahre, nach den rassistischen Progromen von Rostock-Lichtenhagen, sind die Antworten und Reaktionen auf Menschenverachtung, Rassismus und rechte Gewalt im Jahr 2015 die gleichen: Verschärfungen der Asylpolitik, die Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl, Kriminalisierung Geflüchteter und eine Abschottungspolitik, die tausende Tote billigend in Kauf nimmt.

Es ist keine Leistung aus dem weiß-westlich sozialisierten Ledersessel darüber zu entscheiden, welche Länder nunmal als sicher deklariert werden, um den sogenannten „Flüchtlingsstrom“ einzudämmen und die eigene Wirtschaftskraft zu sichern um den deutschen Reichtum im weltzerstörerischen Kapitalismus nicht zu gefährden.

Dieser institutionelle Rassismus ist somit gewollt und geplant. Warum sonst, obwohl es im öffentlichen Diskurs um Menschen, nicht um Waren, um Willkommenskultur und nicht um militarisierte Abschottung geht, werden Inhaftierungsprogramme wie das neue Asylgesetz verabschiedet? Warum sonst werden Länder als sicher eingestuft, die absolut nicht sicher sind und Fluchtgründe dementiert, die nicht in Frage zu stellen sind?

Auch hier im Landkreis Osnabrück spielen sich aktuell inhumane und katastrophale Szenen ab. In der Landesaufnahmebehörde, dem zentral-isolierten Lager in Bramsche-Hesepe, befinden sich aktuell über 4000 Menschen, auf einer Fläche, die für 600 Menschen ausgelegt ist. Damit ist die Kapazitätsgrenze um mehr als das fünffache überschritten. Es mangelt an allen Ecken. So gibt es nicht genug Betten, schlechtes und zu wenig Essen, kaum medizinische Versorgung, Familien mit Säuglingen schlafen auf den Fluren, andere draußen in Eingängen.

Von geschützten Räumen und Privatsphäre kann in einer Lagerunterbringung sowieso nicht die Rede sein. Die Belastungsgrenze der örtlichen Infrastruktur ist nun schon längst überschritten. Ein Kollaps sowohl im Lager als auch im Ort Hesepe ist zu befürchten.

Die Stimmung in Hesepe ist angespannt und gereizt, was sich die rechtsradikale Partei NPD sogleich für weitere Hetze durch das Verteilen von Flyern vergangene Woche zu Nutze gemacht hat. Es gab außerdem kurzzeitig eine Facebook-Seite, auf der Menschen aus Hesepe gegen Geflüchtete aus dem Lager gehetzt haben; spricht man mit Menschen im Ort werden gewaltbereite Stimmen laut.

Das alles alarmiert uns in Zeiten wie diesen besonders wachsam zu sein, damit sich Zustände wie in Heidenau oder andernorts nicht bald auch hier abspielen.

Als Gruppe NoLager lehnen wir eine Unterbringung von Menschen in Lagern grundsätzlich ab!

Sie sind Ausdruck von institutionellem Rassismus. Sie sind eine systematische Abschreckungsmethode durch Entzug der Persönlichkeitsrechte sowie durch die Schaffung räumlicher und sozialer Isolation.

Alltagsrassismus und Vorurteile in der umliegenden Bevölkerung und Gesellschaft werden durch die bewusste Trennung und den Ausschluss aus alltäglicher Teilhabe am gesellschaftlichen Leben der geflüchteten Menschen im Lager geschürt.

Abschiebeprozeduren werden erleichtert und Menschen können unbeobachtet zur sogenannten „freiwilligen Ausreise“ genötigt werden.

Die räumliche Abgeschiedenheit und der bewusste Ausschluss von Öffentlichkeit machte es ebenso möglich zu Beginn des Jahres 2015 mehrere nächtliche Sammelabschiebungen von wöchentlich ca. 40 Personen aus dem Lager Hesepe kaum bemerkbar durchzuführen.

Flucht ist kein Verbrechen! Dennoch erinnern knastartige Zustände wie im von Stacheldraht umzäunten, bewachten Lager an Bestrafung – nur, dass die Straftat fehlt.

Rassismus generell und insbesondere in Deutschland ist kein neues Phänomen. Wir leben in einer Gesellschaft, die von rassistischer Sozialisation und Erziehung geprägt ist; in einem System, das solche Denk- und Verhaltensweisen nach ausbeuterischen, kapitalistischen, menschenverachtenden Kriterien suggeriert. Je nach ökonomischer Verwertbarkeit werden Menschen bewertet, ausgegrenzt und diskriminiert.

Auf ein scheinheiliges Kundtun von Bestürzung über die rassistische Eskalation durch Politiker_innen und andere Repräsentanzfiguren können wir verzichten!

Neben all den angsteinflößenden aktuellen Entwicklungen in der BRD gibt es jedoch auch eine immer lauter und hörbarer werdende antirassistische Bewegung und sich zunehmend formende solidarische Strukturen.

Gruppen wie Lampedusa in Hamburg, die Refugee Revolution Bustour, The Voice, Women in Exile, die Karawane für Menschenrechte oder die Besetzer_innen der Gerhard-Hauptmann-Schule in Berlin zeigen auch den wachsenden selbstorganisierten Widerstand von Geflüchteten in Deutschland.

Wir werden den Protest nicht aufgeben: Geflüchtete und Unterstützer_innen gemeinsam!

Wir lassen uns nicht entmutigen, sondern werden dem tagtäglichen Rassismus entschlossen entgegentreten und für die Rechte geflüchteter Menschen in Deutschland und überall kämpfen.

In diesem Sinne möchten wir euch auch noch einmal ermutigen, euch vorzubereiten, euch zu vernetzen, euch in Gruppen wie NoLager, antifaschistischen Gruppen oder anderweitig zu organisieren und im Notfall mit uns gemeinsam zu intervenieren.

Falls es in Osnabrück, in Bramsche-Hesepe oder in allen Ecken, in denen wir schnell genug sein können, zu rassistischen Übergriffen oder gar Angriffen auf Unterkünfte kommen sollte, werden wir vor Ort sein und uns dem in den Weg stellen.

Deshalb appellieren wir an alle Menschen hier und überall:

Lasst uns näher zusammenrücken und gemeinsam Solidarität mit allen Geflüchteten zeigen und uns damit klar gegen das repressive Asylsystem, rassistische Bürger_innenbewegungen und jeglichen Rassismus stellen!

Wir fordern:

  • die Abschaffung des Lagersystems
  • die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes
  • das Stoppen der Kriminalisierung von Geflüchteten und jeglicher Asylrechtsverschärfungen
  • das Stoppen von Abschiebungen, Diskriminierung und Isolation
  • und ein Bleiberecht sowie Bewegungsfreiheit für alle