Aufruf antirassistischer Netzwerke zu den Aktionstagen im Mai in Frankfurt
Vom 16. bis 19. Mai 2012 soll das Frankfurter Bankenviertel in eine vielfältige Protestzone verwandelt werden. Zu den Besetzungen, Blockaden und Demonstrationen kommen wir mit Schlauchbooten und Leitern, den Symbolen des Widerstandes gegen das militarisierte EU-Grenzregime. Wir bringen Großpuppen mit, um die prekären Arbeitsverhältnisse zu thematisieren, in denen nicht nur MigrantInnen ausgebeutet werden. Und wir wiederholen den Slogan der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, wie er unter anderem gegen den G-8-Gipfel in Rostock 2007 formuliert wurde: wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört.
Fluchtursachen und Globale Krise
Nicht nur innerhalb Europas verschärfen sich die Ungleichheiten, indem die Regierungen der reicheren Länder die Menschen in Griechenland, Spanien oder Portugal massenhaft in die Armut treiben. Vor allem für die Länder des globalen Südens ist die Krise ein sich verschärfender Dauerzustand: Klimawandel, Ressourcenausbeutung, Rohstoffraub, Landgrabbing, Hungerkatastrophen, Verteilungskriege – die Ausbeutung von Mensch und Natur im Interesse der Länder des Nordens nimmt zunehmend katastrophale Ausmaße an.
Beispielsweise gleicht der seit 2007 explosionsartig angewachsene Ausverkauf fruchtbarer (Acker-)Böden an Banken, Investmentfonds und Konzerne mittlerweile einer riesigen Enteignungswelle, die im Süden des Globus für mehrere Hundert Millionen Kleinbauern und -bäuerinnen, FischerInnen und ViehhirtInnen den Verlust ihrer Existenzgrundlagen bedeutet. Da kann es kaum verwundern, dass auch die Deutsche Bank als einer der ganz großen Akteure im globalen Landgrabbing-Geschäft agiert – mit (anteiligem) Landbesitz vor allem in Lateinamerika und Asien. Hinzu kommt, dass die Deutsche Bank mit Investitionen von knapp 5 Milliarden US-Dollar die Nummer 1 unter den Nahrungsmittelspekulanten auf den Weltfinanzmärkten ist. Das Geldhaus trägt somit seit einigen Jahren wesentlich zur Explosion der Lebensmittelpreise bei – vor allem, nachdem zahlreiche Finanzmarkt-Akteure im Zuge der Finanzkrise nach neuen Möglichkeiten gesucht haben, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Der spekulative Handel mit Land und Lebensmitteln gehört angesichts einer Milliarde Hungernder prinzipiell abgeschafft – ganz gleich, ob es um die Deutsche Bank oder irgendwelche anderen Banken, Investmentfonds oder Unternehmen geht.
„Das aktuelle Krisenmanagement mit seinen verheerenden Konsequenzen auf unsere Gesellschaft, auf die Arbeitsverhältnisse, auf die sozialen und politischen Rechte folgen einem Schema, das wir bereits von den IWF-Programmen im globalen Süden während der letzten Jahrzehnte kennen.“ So formulierte unlängst ein griechischer Aktivist den historischen Kontext dessen, was wir jetzt in Südeuropa an sozialen Angriffen erleben. Neben dem IWF gehören die Europäische Kommission sowie die Europäische Zentralbank (EZB) zur Troika, die die sogenannten Sparprogramme diktieren.
Alltagskämpfe ins Bankenviertel tragen
Als antirassistische Gruppen sowie flucht- und migrationsbezogene Netzwerke wollen wir uns an der Mobilisierung nach Frankfurt beteiligen und die Forderungen und Ziele der alltäglichen Kämpfe gegen Ausgrenzung und Prekarisierung sichtbar machen. Denn quer durch Europa sind MigrantInnen in doppelter Weise von der herrschenden Krisenpolitik betroffen. Sie werden als erstes entlassen und zudem droht vielen – z.B. in Italien – bei Arbeitslosigkeit die Abschiebung. Gleichzeitig werden sie zu Sündenböcken für die soziale Krise gemacht. In Athen führt diese rassistische Hetze und Spaltung in den letzten Monaten zu wiederholten Pogromen.
Frontex, die europäische Grenzschutzagentur, rüstet beständig die EU-Außengrenzen auf. Der Tod von tausenden Boatpeople wird bewusst in Kauf genommen. Das brutale Grenzregime fungiert als Filter, allenfalls die „Fittesten“ sollen durchkommen. Die Herrschenden sprechen von „Migrationsmanagement“, wenn sie Formen der Ausgrenzung mit der Rekrutierung billiger Arbeitskräfte kombinieren. Aufenthaltsrechte werden an den Arbeitsplatz gekoppelt, Illegalisierung und Abschiebung von MigrantInnen dienen als Mittel der Erpressung. Weltweit findet ein Prozess rassistischer Hierarchisierung statt, indem verschiedenen MigrantInnengruppen jeweils abgestuft soziale und politische Rechte verweigert werden. Diese moderne Apartheid ist auf die Bedürfnisse der nördlichen Arbeitsmärkte ausgerichtet, nicht zuletzt auch in Deutschand. Wer putzt in den Bankentürmen? Wer spült das Geschirr in den teuren Restaurants? Wer schuftet auf den Großbaustellen? Wer sticht den Spargel auf den Feldern? Doch MigrantInnen wehren sich in unterschiedlichen Formen gegen willkürliche Entlassungen oder Niedrigstlöhne, und zur Unterstützung gegen Lohnraub und Entrechtung sind in mehreren Städten gewerkschaftliche Anlaufstellen entstanden .
Transnationale Bewegung und „Verbindungen im Prekären“
Migrantische und Flüchtlingskämpfe durchkreuzen und bekämpfen das System einer neuen globalen Apartheid, indem sie direkt oder indirekt die Forderungen nach globaler Bewegungsfreiheit und gleichen sozialen Rechten stellen. Im täglichen Widerstand gegen das hiesige Lagersystem oder gegen rassistische Polizeigewalt, in Protesten gegen die Abschiebekollaboration der Botschaften ihrer Herkunftsländer oder gegen die neokoloniale Politik der EU: gerade in den Kämpfen der Flüchtlinge und MigrantInnen steckt das Potential einer transnationalen Perspektive, die sich gleichermaßen gegen die Ausbeutung und Unterdrückungen im Süden wie im Norden richten muss. Unbestritten gibt es gravierende Unterschiede in den Realitäten und Kämpfen in den jeweiligen Regionen, Ländern und Kontinenten. Und Interessensunterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen hier, sei es zwischen den temporären und den dauerhaften MigrantInnen, oder zwischen prekär beschäftigten, neuen EU-BürgerInnen und illegalisierten Sans Papiers. Eine zentrale Herausforderung für die sozialen Bewegungen besteht darin, diese Differenzen zu überbrücken und nach den „Verbindungen im Prekären“ zu suchen.
Am 15. Oktober 2011 fanden in über 900 Städten in rund 90 Ländern der Erde Proteste und Aktionen statt. Mit der Gleichzeitigkeit, in der sich – inspiriert insbesondere durch den arabischen Frühling – in vielen Regionen aufeinander bezogene soziale Massenbewegungen neu entwickelt haben und den Krisen- und Sparregime die Stirn bieten, blitzt das Potential eines transnationalen Aufbruchs auf. Tunis ist nicht Madrid, Athen ist nicht Frankfurt. Nicht in der Betroffenheit, nicht in den Widerstandsformen. Doch in den unterschiedlichen Kämpfen gegen die weltweite Prekarisierung pulsiert eine Verbundenheit, mit der sich neue Brücken schlagen lassen im und gegen das globale Ressourcen- und Ausbeutungsgefälle.
Die Zeiten sind bewegter denn je und rund um den 12. Mai 2012, dem nächsten globalen Aktionstag, wird sich zeigen, ob eine neue Welle von Mobilisierungen gelingt und sich der Zyklus von aufeinander bezogenen Kämpfen weiter verdichtet. Zeitlich unmittelbar anknüpfend zielen die Blockupy-Tage in Frankfurt darauf ab, die Verantwortlichen für die globale Krisen- und Verarmungspolitik direkt vor den Türen ihrer Entscheidungszentralen mit phantasievollen Blockaden und kreativen Widerstandsformen zu konfrontieren. Als antirassistische Netzwerke werden wir am 18.5. einen Blockadefinger organisieren und in der Demonstration am 19.5. einen eigenen Block bilden.
Freiheit statt Frontex
Gleiche Rechte statt Grenzregime
kein mensch ist illegal