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Die Hölle kann recht hübsch ausschauen, und zuweilen wirkt sie fast wie ein Ferienlager aus. Bevor wir gegen Mittag am Lagertor ankommen, fahren wir kilometerweit durch Felder und kleine Wälder. Die Bushaltestelle an dem großen Parkplatz heißt: „Grenzdurchgangslager“. Fünf Busse fahren täglich nach Bramsche und Osnabrück. Wie wir später erfahren, fahren hier nur Schulbusse ab –die Erwachsenen müssen, wenn sie nach Osnabrück wollen, erst ca. zwei Kilometer zum Bahnhof Hesepe laufen und können von dort aus für 5,30 € mit dem Zug nach Osnabrück fahren.
Das Gelände ist komplett umzäunt. Nachdem wir unsere Ausweise bei den Securities abgegeben haben, werden wir von dem einem Freund in Empfang genommen, der uns erst einmal durchs Lager führt. Das Lager ist eine alte niederländische Kaserne, und – anders als viele andere Lager, die wir kennengelernt haben – verstrahlt sie nicht den zweifelhaften Charme des Militärischen. Die Gebäude sind auch nicht heruntergekommen oder verwahrlost: Die zweistöckigen Häuser sind in rötlichen Tönen gehalten, die Grünflächen sind gepflegt, auch der kleine Spielplatz, an dem wir uns später mit anderen Flüchtlingen treffen, ist durchaus Okay und wird auch von zahlreichen Kindern benutzt.
Es ist nicht die uns von anderen Lagern bekannte fehlende Hygiene, der Dreck oder die schlechte Bausubstanz, die Leute hier verrückt macht. Vielmehr ist es die Isolation und das Kontrollregime – und in dieser Hinsicht sind wir hier wirklich in einem Lager. Alles ist hier zusammen: Kantine, Schule, Sanitätsstation, Ausländerbehörde, Sozialamt. Alles, was ein Flüchtling nach Auffassung der deutschen Behörden braucht, um sein Verfahren abzuwarten. Hier allerdings leben Menschen. Und manche über Jahre. Wir hören von Leuten, die zwei bis fünf Jahre hier leben – oder besser gesagt, die Jahre verlieren.
Zunächst unterhalten wir uns mit den Freunden, die inzwischen zusammengekommen sind – großenteils junge Männer – darüber, was sie bisher an Protesten gemacht haben:
Im Februar und März haben sie die ersten Proteste [1, 2] organisiert, die sich vor allem gegen das Kantinenessen richteten. Es gab einen eintägigen Essenboykott, an dem sich viele beteiligten, indem sie sich vor der Kantine sammelten, dort blieben und gegen das Essen protestierten. Alle sagen übereinstimmend, dass das Essen in der Kantine einfach nicht essbar ist. Die übliche Diät des Tages: morgens Brot und Butter, mittags Reis und Kartoffeln, abends Brot und Butter. Obst und Gemüse gibt es (fast) nicht. Und es ist immer zu wenig; zumindest werden viele nie satt oder haben abends großen Hunger. Wer Nachschlag will, bekommt vom Kantinenpersonal gesagt: „Wir sind hier nicht im Restaurant“.
Wer kann bzw. wer Geld für Essen hat, kocht auf dem Zimmer auf einem kleinen Elektroherd. Das geht aber nur dann, wenn man einen 1-€uro-Job hat, also neben den 40 Euro Taschengeld noch etwas dazuverdienen kann. Gerade Kranke oder Familien mit vielen Kindern sind also auf die Kantine angewiesen, wo aber auf besondere Bedürfnisse, z.B. Allergien, Unverträglichkeiten oder sonst wie besonderen Ernährungsbedarf überhaupt keine Rücksicht genommen wird.
Nach dem Hungerstreik ist aber nichts passiert; die Leitungsebene des Lagers, Herr Conrad Bramm, hat die Leute, die mit ihm sprechen wollten einfach abgewimmelt. Beschwerden der Flüchtlinge finden innerhalb des Lagers keinen Adressaten, sie werden nicht gehört und gedemütigt durch Missachtung. Und nach außen hin waren die Proteste nicht laut genug zu hören. Deshalb brach der Widerstand zunächst wieder ein. Ein Flüchtling, der ein Treffen organisieren wollte, ist zu diesem Treffen nicht erschienen – es stellte sich später heraus, dass Polizei und Lagersecurity zu ihm in den Wohnblock gekommen waren und ihn da befragt hatten.
Ein anderes große Problem ist die medizinische Versorgung. Es gibt eine Sanitätsstation und einen Allgemeinmediziner, der zweimal wöchentlich für drei Stunden da ist. Er verschreibt Paracetamol bei Bauchschmerzen, bei Rückenschmerzen, bei Zahnschmerzen, bei Problemen mit den Augen…, bei allem. Facharztüberweisungen gibt es selten. Bei psychischen Beschwerden ist es extrem unwahrscheinlich, eine Überweisung zu bekommen. Wenn jemand akut krank wird und der Arzt nicht da ist, kommt ein Lagersecurity vorbei und entscheidet, ob die Person einen Facharzt oder einen Krankenwagen braucht. Aber selbst dann, wenn die Facharztbehandlung vom Sozialamt übernommen werden, müssen die Leute die Fahrtkosten selber tragen (seit einigen Monaten ist das so). Dolmetscher sind nicht vorgesehen, und wenn ein Freund oder eine Freundin aus dem Lager zum Dolmetschen mitkommen will, fallen noch einmal Fahrtkosten an.
Es gibt im Lager eine Frau, die im Rollstuhl sitzt: Ihre Beide haben den Dienst versagt, als sie erfahren hat, dass sie nach Bramsche muss. Ganz offensichtlich gibt es keine körperlichen Gründe für die Lähmung, die ist rein psychosomatisch, weil sie die Situation dort nicht aushält.
Ein Freund sagt: „Das Lager ist da, damit die Leute wieder weggehen – und manche tun das auch.“ Ein anderer formuliert: „Die Kinder können zumindest in die Schule gehen. Aber wir können hier nur Kartoffeln essen und schlafen.“ Es ist entsetzlich daran zu denken, dass manche zwei bis fünf Jahre hier bleiben müssen.
Die ganze Behandlung im Lager empfinden die Freunde als demütigend. Einer sagt: „Man wird hier nicht als Mensch behandelt. In der Kantine zittern die Leute. Sie tun so, als ob sie das Essen aus ihrer eigenen Tasche bezahlen würden. Wenn du Nachschlag willst, wirst du abgewimmelt. Du kannst nichts machen. Auch in der Kantine ist die Security. Sie hindern einen sogar, wenn man das Essen fotografieren will.“ – „Beim Sozialamt schaut man uns an, ob wir vielleicht Markenklamotten oder etwas Wertvolles haben. Manche mussten sich im Sozialamt ausziehen, oder wurden gezwungen ihr Portemonnaie abzugeben. Wer dann Geld hat, kriegt es abgenommen.“ „ Bei der Duldungsverlängerung hat der Sozialamtsmitarbeiter meine Duldung nicht, wie man das normalerweise macht, entgegengenommen. Er hat sie mir aus der Hand gerissen und gesagt `Komm um 14.00 Uhr wieder´.“
Dazu passt, dass sie auch nicht über ihre Rechte informiert werden. Keiner weiß zum Beispiel, warum manche Taschengeld bekommen und andere nicht. Vom Sozialamt werden keine Bescheide gegeben und niemand hat eine Ahnung, wie viel Geld ihm zustehen würde.
Die einzige legale Zuverdienstmöglichkeit sind 1-Euro-Jobs. Eher nebenbei erzählen die Freunde, dass diese nicht nur auf dem Gelände des Lagers stattfinden. Auch das Grünflächen- und Bestattungsamt von Bramsche erfreut sich bspw. an der billigen Arbeitskraft und lässt Flüchtlinge Gräber ausheben. Ein Freund hatte furchtbare Angst, in dem Grab zu stehen. Als das Lager Blankenburg im Juli geräumt wurde, mussten andere die schweren Schränke und Spinde aus den Kasernenhäusern schleppen. Für „normale“ Arbeiter hätte das Land sicher mindestens den zehnfachen Betrag bezahlen müssen.
Im Grunde wollen alle nur raus aus dem Lager, und sie sind sich einig, dass die meisten ihrer Probleme einfach mit dem Lagerregime zusammenhängen. Und weil es nicht nur um sie geht, sondern auch um alle anderen, die nach ihnen noch kommen, wollen sie die Schließung erreichen.
Als wir uns nach fast sechs Stunden verabschieden, unsere Ausweise wieder abholen und heimfahren, sind wir traurig über die Situation vor allem der kranken Leute, aber zugleich begeistert über die Entschlossenheit und Klarheit, mit der die Freunde für ihre Rechte kämpfen wollen.
+ Eine wissenschaftliche Untersuchung zu den Folgen des Lagerlebens auf die Gesundheit von Flüchtlingen ist im Internet verfügbar: http://www.equal-saga.info/docs/SPuKRegionalanalyse.pdf; Zusammenfassung und Version hier.