Aktionstage Bramsche: Gesamtbericht / Wir wollen nicht im Lager leben / Abschiebelager Bramsche dicht machen! / Bericht von den Aktionstagen 5. bis 7. Juni 2006
Quelle: http://www.hiergeblieben.de/pages/textanzeige.php?limit=50&order=titel&richtung=ASC&z=99&id=9900
weitere Infos und Bilder unter http://nolager.de/blog/taxonomy/term/89
Auf dem Schützenfest in Hesepe – wahrscheinlich sonst das Highlight im Jahreslauf des doch so beschaulichen Ortes in der Nähe von Bramsche (Landkreis Osnabrück) – ging es schon hoch her. Beim Zechgelage zum Abschluss, am Pfingstsonntag, wurde heiß diskutiert, ob denn ein weiteres Camp gegen das Abschiebelager zugelassen werden darf oder nicht mit sofortiger Wirkung verboten gehört. Doch leider war Feiertag und die Behörden nicht mehr erreichbar. Also waren die braven HeseperInnen mit ihrer Diskussion allein und hätten sich doch bald schon gegenseitig verprügelt, ob dieser Frage.
1. Tag:
Am Morgen des Pfingstmontag, als die ersten AktivistInnen angereist waren, um das Camp aufzubauen, waren die HeseperInnen wieder nüchtern oder hatten noch einen dicken Kopf, auf jeden Fall duldeten sie das Camp stillschweigend.
Ab Mittag reisten die TeilnehmerInnen des Camps an und die erste große Gruppe ging als Demonstration zum Parkplatz vor dem Abschiebelager zur Begrüßungskundgebung. Dabei wurde ein kurzer Umweg durch das Dorf gemacht, bevor es am Lager losging, das ansonsten ca. 10 Minuten Fußweg vom Camp entfernt liegt. Dieser Fußweg führte direkt am Lagerzaun vorbei, die Polizei hatte darauf verzichtet, alles abzusperren, das hätte das Polizeiaufgebot noch mehr in die Höhe getrieben und so wurde aus Kostengründen darauf verzichtet. Nicht zu teuer und nicht zu doof war den BetreiberInnen des Lagers die erneute Aufrüstung des Zaunes, der in den Tagen zuvor durch reichlich Baumatten verstärkt worden war. Aber vielleicht haben die Behörden auch begriffen, dass wir selbst entscheiden, wann wir das Lager stürmen oder nicht und dass das zu jedem anderen Zeitpunkt möglich ist, und nicht immer nur ausgerechnet dann, wenn vor dem Lager eine Kundgebung angemeldet ist – siehe 2. Mai 2006: Eindringen in das Lager und Dachbesetzung.
Die Aktionstage waren gemeinsam vom NoLager-Netzwerk und BewohnerInnen des Abschiebelagers vorbereitet worden – auf Anregung der aktiven Flüchtlinge, die gegen die Lagerunterbringung kämpfen. Zum einen sollte einmal mehr gegen die Lagerpolitik protestiert werden, allgemein und konkret am Beispiel dieses einmaligen Modellprojektes, zum anderen sollten aktuelle Repressionen und Schikanen thematisiert werden, denen politisch aktive Flüchtlinge unterliegen und auch Repressionen, die alle Flüchtlinge treffen, die einer “Freiwilligen Rückkehr“ nicht zustimmen, insbesondere Strafbefehle mit Geldstrafe bzw. ersatzweise Haft. Zumindest ein Flüchtling befindet sich deswegen bereits im Knast.
Die Idee der Aktionstage genau vor dem Abschiebelager sollte es Flüchtlingen erleichtern, teilzunehmen. Denn viele von ihnen haben – verständlicherweise – Angst. Tatsächlich werden Flüchtlinge auf verschiedene Weise eingeschüchtert, wenn sie sich an Protesten beteiligen. Das reicht von Ansprachen, dass sie die nächsten seien, die abgeschoben würden bis hin zu immer wieder Strafanzeigen wegen der lächerlichsten Dinge.
Vor dem Lager meinte dann die Polizei, Stärke durch Präsenz zeigen zu müssen. Der halbe Parkplatz war durch Absperrungen, die durch Polizeiketten gesichert waren, unzugänglich gemacht worden. Das kleine Tor am Pförtnerhäuschen war zwar diesmal nicht noch extra durch Polizei abgesperrt, wie das noch bei der letzten Aktion im September 2005 der Fall war, dennoch war eindeutig eine einschüchternde Schwelle für die BewohnerInnen des Lagers aufgebaut – durch Polizeipräsenz und durch Präsenz verschiedener Angestellter des Lagers bis hin zu Ober-Lagerleiter Lüttgau. Dieser war sich tatsächlich nicht zu blöd, gemeinsam mit seiner Security, diejenigen Flüchtlinge zu fotografieren, die am Aktionstag vor dem Lager teilnahmen.
Trotz all dieser Hürden beteiligten sich an diesem ersten Tag ca. 80 BewohnerInnen des Lagers, unter ihnen sehr viele Kinder. Bei Kaffee und Kuchen wurden Kontakte geknüpft von Menschen außerhalb und innerhalb des Zauns. Und viele gemeinsame Gespräche geführt.
Zwei Stunden später war die Begrüßungskundgebung vorbei, am anschließenden Plenum auf dem Camp nahmen auch eine Reihe Flüchtlinge teil. Sie berichteten hier über die aktuelle Situation im Lager, insbesondere über die Repressionen, denen sie unterliegen, wenn sie zur so genannten “Freiwilligen Ausreise“ genötigt werden sollen.
Nach dem Plenum machten sich ca. 40 AktivistInnen auf den Weg nach Eggermühlen. Hier wohnt Frau Gerdes, Mitarbeiterin der Sozialbehörde des Lagers, die schon seit Jahren dadurch auffällt, ein recht rassistisches Verhältnis zu Flüchtlingen zu haben. Selbst wenn es stimmt, dass sie selbst davon überzeugt ist, ihre Arbeit nach “besten Wissen und Gewissen“ auszuüben, macht das ihr Verhalten nicht besser, sondern zeugt eher davon, wie tief sie für sich verinnerlicht hat, dass Flüchtlinge in ihren Augen Menschen zweiter Klasse sind. Wenn Flüchtlinge sich mit den elementarsten Bitten an “ihre Sozialbetreuerin“ wenden, erhalten sie erst mal die Antwort, dass sie doch das Land verlassen sollen, dann ginge es ihnen schon besser. Mehr als einmal war auch schon von ihr zu hören, dass sie die Menschen aus anderen Ländern für lebensunfähig hält, weshalb sie dringend zentral in Lagern untergebracht werden müssen, damit sie auch gut unter Kontrolle sind. Auch wären ja die Kinder von Flüchtlingen so “unterentwickelt“, dass ihnen erst mal “deutsche Kulturtechniken“ beigebracht werden müssen (wie der Umgang mit Schere und Papier).
Als die AktivistInnen mit Trommeln und Megaphon auf den Hof ihres Hauses kamen, um ihr einen Blumentopf mit “Heimaterde“ zu übergeben flüchtete sie in das Innere. Die Ansprache wird sie wohl trotzdem gehört haben:
„Sehr geehrte Frau Gerdes!
Wir möchten Ihnen heute diesen Blumentopf mit Heimaterde übergeben, damit Sie auch nie vergessen, wo Sie zu Hause sind.
Glück gehabt, Frau Gerdes: Sie sind in Deutschland geboren. Sie haben die 1,26-prozentige Chance genutzt! Wir gratulieren Ihnen herzlich zum Geburtsrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft! Mit diesem hervorragenden Privileg sind Sie nicht nur in der Lage Ihren Wohnsitz innerhalb Deutschlands frei zu wählen, sondern dazu noch aktiv einen Arbeitsplatz zu suchen.
Sie haben sogar das Recht auf ein menschenwürdiges Leben!
Gratulation!
Wollen Sie nicht auch, dass möglichst viele an diesem einzigartigen Angebot teilhaben können?
Scheinbar nicht … Denn jeden Tag drängen Sie die Flüchtlinge dazu, ihre freiwillige Ausreise zu unterschreiben. Um damit auf sämtliche dieser „Angebote“ zu verzichten.
Frau Gerdes, Sie sind Betreuerin im Abschiebelager. Man sollte meinen, sie wollten nur das Beste für Ihre Schützlinge. Ist es da fair, für ein System zu arbeiten das Menschen all diese Möglichkeiten verwehrt?
Sind Sie so naiv oder tun Sie nur so?
Nur durch Menschen wie Sie ist das Betreiben eines Abschiebelagers überhaupt möglich. Sie helfen bei einer großen Sache mit … bleibt nur die Frage: In wessen Interesse?
Frau Gerdes, wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Tag und viel Spaß mit Ihrem neuen Blumentopf voller Heimaterde.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Auf Wiedersehen … “
Auf dem Camp ging es ab 20 Uhr weiter mit einem Workshop zum Zuwanderungsgesetz und Flüchtlingsrechten, mit besonderem Hinblick auf das Abschiebelager. Die Diskussion kreiste vor allem um die Frage, ob und wie auch mit juristischen Mitteln das Abschiebe- und Schikaneregime politisch (!) bekämpft werden könnte. Konkret ging es um die Frage, wie mit Hilfe exemplarischer Musterprozesse der Widerstand gestärkt werden könnte.
Ab 22 Uhr gab’s noch Kino: Gezeigt wurde die Uraufführung eines Kurzclips über die Dachbesetzung im Abschiebelager Bramsche-Hesepe am 2. Mai 2006 sowie weitere Film über Lager und Lagerwiderstand.
2. Tag:
Das Programm des Dienstags begann mit leichter Verspätung um halb 11 mit dem vielfältigen Programm für Kinder. Einige hatten den Zirkus und die Spiele schon sehnsüchtig erwartet und beschwerten sich über unser zu spät kommen – sorry!
Die Beteiligung der Kinder aus dem Lager war großartig und auch der Zirkus war fantastisch. Er wurde dann noch verstärkt von einer Pädagogikklasse der Laborschule Bielefeld, die ihr Programm mit dem Auftritt eines Zauberers beendeten. Stimmung und Beteiligung waren so gut, dass spontan überlegt wurde, mittags gemeinsam auf dem Platz zu essen, um danach dann nach Osnabrück zur Demo zu fahren.
Während des Kinderaktionsvormittages besuchte eine internationale Delegation von terre des hommes (tdh) die AktivistInnen und die Kinder des Lagers. Die Delegierten, die von der Ortsgruppe tdh aus Osnabrück begleitet wurden, kamen aus Indonesien, Peru, Zimbabwe und Guatemala. Allein beim Anblick des Lagers waren sie entsetzt, hätten sie doch so etwas in diesem demokratischen Europa nicht erwartet. Ein Besuch des Lagers wurde ihnen von Seiten des Lagerleiters Bramm nicht gestattet. Zwar war er von dem Anliegen von Seiten von tdh im Vorfeld unterrichtet worden, aber angeblich war ihm das alles so kurzfristig, dass er sich nicht auf den Besuch hätte einstellen können, außerdem habe er so viele andere Termine an diesem Tag. Was schon sehr merkwürdig klingt, war doch das Lager wieder einmal während der Aktionstage für jeglichen Besuch gesperrt. Also verzichtete die Delegation auf die Innenansicht des Lagers, vermerkte allerdings, dass sie solcherlei Reaktion und auch Repression von den Lagern in ihren eigenen Ländern kennt.
Die Delegierten führten ein Gespräch mit Kindern vor dem Lager. Diese hatten sich auf den Besuch vorbereitet und einen Brief formuliert, den sie nun vortrugen. Sie wurden dabei durch viele Nachfragen der Delegation unterbrochen, und den immer wieder erstaunten Anmerkungen, dass sie solcherlei Umgang mit Menschen nur aus Ländern mit Unrechtsregimen kennen. Entsprechend formulierten die tdh-Delegierten am Ende ihren Gesamteindruck: Ihnen sei hier das andere Gesicht von Deutschland gezeigt worden. Auch bei kritischen Menschen in anderen Teilen der Welt gäbe es das Bild des humanitären Europa, das Flüchtlinge nicht nur aufnimmt, sondern ihnen auch eine Chance gebe. Nun sei ihnen klar geworden, dass das absolut nicht der Fall ist. Der Delegierte aus Guatemala, der dem Volk der Maja angehört, wandte sich am Ende noch persönlich an die Mädchen, die sich die Zeit genommen hatten, ausführlich zu berichten. Er erzählte ihnen, dass viele Maja in den USA in ähnlichen Lagern leben müssten, und dass diese Menschen ein Band für das Handgelenk weben, das mit vier Perlen bestickt ist. Die Farben des Bandes und die Perlen symbolisieren insgesamt die Menschlichkeit, eine Farbe steht für die Jugend. Das Band ist für die internierten Flüchtlinge das Symbol dafür, niemals die Hoffnung aufzugeben. Er schenkte dann den Mädchen je ein solches Band und bat auch sie: gebt nie die Hoffnung auf. Die Delegation bedankte sich noch einmal sehr für die Einladung, sie meinten, dass sie sehr erschüttert seien und erst mal ein wenig Zeit bräuchten, um das Erlebte zu verarbeiten.
Nach Abschluss des Vormittages fuhren alle gemeinsam nach Osnabrück zur Speakers Corner und zur Demonstration. Ca. 300 Leute beteiligten sich, einschließlich der BewohnerInnen des Lagers.
Um 16 Uhr begann die Speakers Corner auf dem Nikolaiort in der Fußgängerzone.
Wenig schön war, dass nun die Polizei zeigen wollte, dass auch sie was zu sagen hat. Sie reagierten, als würden sie in Kürze einen Amoklauf erwarten und nicht eine “friedliche“ Demonstration. Alle paar Minuten wurde auf unsinnige Demoauflagen hingewiesen, die unbedingt einzuhalten seien, weil sie ansonsten eingreifen müssten, zum Beispiel, dass ein Transparent nicht länger als 2,50m sein darf. Dass sie dann auch den gesamten Demonstrationszug mit einer Art lockeren Spalier begleiteten, traf bei vielen TeilnehmerInnen auf Unverständnis, genauso wie das Runterschubsen vom Gehweg, sobald jemand wagte, diesen zu betreten (angeblich besagten die Demoauflagen, dass die Demo sich nur auf der Straße bewegen darf). Aber wir wollen uns hier nicht an unsinnigen Einschätzungen der Polizei abarbeiten, wo es geht werden wir die von ihnen gesetzten Grenzen sowieso überschreiten.
Während der Speakers Corner nahmen sich einige Flüchtlinge die Möglichkeit, um der Öffentlichkeit über das Mikrofon mitzuteilen, wie sich ihre Situation in Deutschlands größtem Abschiebelager darstellt. Beendet wurde die Kundgebung mit einem kleinen Straßentheaterstück zum Thema: “Die Welt zu Gast bei Freunden!?“. Die Demo selbst war dann – typisch für NoLager – laut, bunt und mit einer unglaublich guten Stimmung. Sie endete wiederum auf dem Nikolaiort. Von hier gingen die TeilnehmerInnen dann in den Schloßgarten zum gemeinsamen Essen und der darauf folgenden Veranstaltung im Schloß mit Wolf-Dieter Narr und Flüchtlingen des Lagers. Karl Kopp von Pro Asyl musste leider kurzfristig aus Krankheitsgründen absagen.
Wolf-Dieter Narr berichtete von seinem zweitägigen Aufenthalt im Lager und analysierte aus seiner Sicht die Lagerpolitik in Deutschland (und Europa). Er forderte die Abschaffung der Lager ohne Kompromiss und stellte das Abschiebelager Bramsche-Hesepe als eines der schlimmsten dar. Seine Erfahrungen und Analysen wird es in Kürze auch in Form einer schriftlichen Veröffentlichung geben, worauf jetzt schon mal hingewiesen sei.
Das, was Wolf-Dieter Narr noch relativ theoretisch formulierte, wurde dann durch die persönlichen Berichte von BewohnerInnen des Lagers unterstrichen. In der anschließenden Diskussion tauchte die Frage nach Handlungsmöglichkeiten auf. Schienen bei dieser Fragestellung erst einmal einige BesucherInnen der Veranstaltung ratlos zu sein, so wurde doch schnell klar, dass es sehr viele Handlungsmöglichkeiten gibt, von denen nur ein Teil ja schon am Abend zuvor diskutiert worden war. Niemand braucht sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, dass der Kampf gegen Lager sinnlos sei.
Um 22 Uhr waren alle fix und fertig aber auch zufrieden mit diesem ereignisreichen Tag.
3. Tag:
Für einige begann der Mittwoch früh. Noch einmal besuchten AktivistInnen einen Mitarbeiter des Lagers, noch vor Dienstbeginn, um 6.30 Uhr. Diesmal war es der Hausmeister Herr Brylski, der in Ueffeln wohnt. Noch im Unterhemd nahm er die eigens für ihn erstellte Urkunde nicht persönlich entgegen. Aber auch er wird die Ansprache wohl vernommen haben:
„Hallo Herr Jerzy Brylski!
Als Hausmeister habe Sie viele Aufgaben. Sie sorgen für Ordnung und Sauberkeit und Sie können einfach alles reparieren. Sicher brauchen Sie dafür viel Talent – und natürlich Werkzeug. Nur eines verstehen wir nicht: Wozu brauchen Sie eigentlich Ihren Gummiknüppel? Uns fällt irgendwie nur eine Verwendungsmöglichkeit ein, von der Sie ja auch schon Gebrauch gemacht haben …
Sie schlugen in der Vergangenheit mehrfach auf Kopf und Arm eines Flüchtlings ein. Sie scheinen ja mit vollem Einsatz dabei zu sein und haben sich Ihre Aufnahme in das Abschiebelager-All-Stars-Team daher redlich verdient. Deswegen, Herr Brylski, überreichen wir Ihnen diese Urkunde für Ihren unermüdlichen Einsatz in der Abschiebemaschinerie.
Auch Sie tragen Ihren Teil dazu bei und sorgen für zusätzlichen Druck auf die Flüchtlinge.
Wir fragen uns, für wen Sie das eigentlich tun … woher nehmen Sie den Antrieb für Ihre Begeisterung? Woher nehmen sie die Motivation, Menschen zu unterdrücken, die sowieso schon am Boden sind? Diese Menschen sind hier her gekommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Was sie bekommen, wissen Sie, Herr Brylski, selbst am Besten. Hoffentlich finden Sie einen netten Platz für ihre Urkunde.
Auf Wiedersehen!“
Vom Camp aus zog dann noch einmal eine Gruppe AktivistInnen vor das Abschiebelager, um weitere Flüchtlinge zum Abschlussplenum einzuladen und gemeinsam mit den Flüchtlingen wurde ein Resümee gezogen und über Perspektiven diskutiert. Das Plenum endete mit der Perspektive vieler Handlungsmöglichkeiten und der Einrichtung verschiedener Arbeitsgruppen, die zu den vielfältigen Aspekten der Lagerpolitik weiter arbeiten werden.
Danach folgte noch die gewaltige logistische Aufgabe des Abbaus. Wir danken allen, die sich daran und auch sonst an der Gestaltung des Camps beteiligt haben. Ein besonderer Dank auch von hier aus noch mal an die Gruppe der Volxküche, die uns während des Camps so hervorragend und lecker versorgt hat, ihr seid nächstes Jahr wieder eingeladen!
Was hat es gebracht:
Ein Camp, wie das jetzt in Bramsche-Hesepe, sieht immer leicht und locker aus, wenn es denn steht. Tatsächlich steckt in den Wochen und Monaten vorher darin unglaublich viel Arbeit. Aber diese Arbeit hat sich gelohnt. Nach außen hin ist so ein Camp der Highlight der Politik, die hier für viele sichtbar wird. Dennoch hätten solche Aktionstage keinen Sinn, wenn es nicht die alltägliche politische Arbeit gäbe, denn nur sie macht das Camp auch erfolgreich.
Als sehr positiv konnten wir schon im Vorhinein vermerken, dass die Aktionstage gemeinsam vom NoLager-Netzwerk und von Flüchtlingen vorbereitet wurden. Die aktiven Flüchtlinge verstehen sich schon seit einiger Zeit als Teil des NoLager-Netzwerks.
Auch wenn die verantwortlichen Behörden, einschließlich der Polizei, nicht müde wurden und nicht müde werden, in der Öffentlichkeit zu verbreiten, die BewohnerInnen des Lagers hätten kein Interesse an dem Protest, ist doch eindeutig festzustellen, dass sehr Viele nicht nur teilgenommen haben, sondern sich auch aktiv beteiligt haben. Was ihre Beteiligung angeht, ist über all die Jahre hinweg, in denen Proteste zu dem Lager laufen, eine Steigerung zu sehen.
Viele TeilnehmerInnen des Camps haben dieses nicht als ein einmaliges Event gesehen, sondern als einen Raum, um Perspektiven für die weitere Arbeit zu entwickeln. Diese wird nun auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Anhand einzelner Fälle wird die Lagerpolitik sowohl politisch als auch juristisch angegangen werden. Darüber besteht die Möglichkeit, das Lagerregime öffentlich zu entlarven, es wird einzelnen geholfen und zeigt anderen BewohnerInnen des Lagers, dass im Widerstand durchaus eine Perspektive besteht.
Der Bereich der medizinischen Versorgung wird ein weiterer Schwerpunkt sein, ebenso wie die Lagerschule.
Nicht zuletzt sind überhaupt auf den Aktionstagen viele neue Kontakte entstanden, die der Anti-Lager-Politik ein persönliches Gesicht geben, dadurch die Isolation ein Stück weit durchbrochen haben und dem Engagement einen weiteren Sinn geben.
Sehr schön ist auch die Ankündigung des Kinderzirkusses, nun regelmäßig in die Nähe des Lagers zu kommen, um die Kinder aus der politisch gewollten Trostlosigkeit herauszuholen, vielleicht kommen ja auch Kinder aus Hesepe dazu, so dass sich daraus eine eigene Dynamik entwickelt. Der erste Zirkustermin ist am 8. Juli, ab 15 Uhr, voraussichtlich wieder auf der Wiese an der Ostlandstraße, auf der auch das Camp stattgefunden hat.
Mit den Aktionstagen haben wir dieses Mal auf eine andere Weise den Zaun flach gelegt, und das ist sehr viel nachhaltiger. Den realen Zaun um das Lager können wir jederzeit wieder umhauen. Denn eines ist klar: die Umzäunung, die Menschen isoliert in Lagern hält, wird so lange kaputt gemacht, bis es keine Lager mehr gibt!
Aktionstage Bramsche: Gesamtbericht / Wir wollen nicht im Lager leben / Abschiebelager Bramsche dicht machen! / Bericht von den Aktionstagen 5. bis 7. Juni 2006
Auf dem Schützenfest in Hesepe – wahrscheinlich sonst das Highlight im Jahreslauf des doch so beschaulichen Ortes in der Nähe von Bramsche (Landkreis Osnabrück) – ging es schon hoch her. Beim Zechgelage zum Abschluss, am Pfingstsonntag, wurde heiß diskutiert, ob denn ein weiteres Camp gegen das Abschiebelager zugelassen werden darf oder nicht mit sofortiger Wirkung verboten gehört. Doch leider war Feiertag und die Behörden nicht mehr erreichbar. Also waren die braven HeseperInnen mit ihrer Diskussion allein und hätten sich doch bald schon gegenseitig verprügelt, ob dieser Frage.
1. Tag:
Am Morgen des Pfingstmontag, als die ersten AktivistInnen angereist waren, um das Camp aufzubauen, waren die HeseperInnen wieder nüchtern oder hatten noch einen dicken Kopf, auf jeden Fall duldeten sie das Camp stillschweigend.
Ab Mittag reisten die TeilnehmerInnen des Camps an und die erste große Gruppe ging als Demonstration zum Parkplatz vor dem Abschiebelager zur Begrüßungskundgebung. Dabei wurde ein kurzer Umweg durch das Dorf gemacht, bevor es am Lager losging, das ansonsten ca. 10 Minuten Fußweg vom Camp entfernt liegt. Dieser Fußweg führte direkt am Lagerzaun vorbei, die Polizei hatte darauf verzichtet, alles abzusperren, das hätte das Polizeiaufgebot noch mehr in die Höhe getrieben und so wurde aus Kostengründen darauf verzichtet. Nicht zu teuer und nicht zu doof war den BetreiberInnen des Lagers die erneute Aufrüstung des Zaunes, der in den Tagen zuvor durch reichlich Baumatten verstärkt worden war. Aber vielleicht haben die Behörden auch begriffen, dass wir selbst entscheiden, wann wir das Lager stürmen oder nicht und dass das zu jedem anderen Zeitpunkt möglich ist, und nicht immer nur ausgerechnet dann, wenn vor dem Lager eine Kundgebung angemeldet ist – siehe 2. Mai 2006: Eindringen in das Lager und Dachbesetzung.
Die Aktionstage waren gemeinsam vom NoLager-Netzwerk und BewohnerInnen des Abschiebelagers vorbereitet worden – auf Anregung der aktiven Flüchtlinge, die gegen die Lagerunterbringung kämpfen. Zum einen sollte einmal mehr gegen die Lagerpolitik protestiert werden, allgemein und konkret am Beispiel dieses einmaligen Modellprojektes, zum anderen sollten aktuelle Repressionen und Schikanen thematisiert werden, denen politisch aktive Flüchtlinge unterliegen und auch Repressionen, die alle Flüchtlinge treffen, die einer “Freiwilligen Rückkehr“ nicht zustimmen, insbesondere Strafbefehle mit Geldstrafe bzw. ersatzweise Haft. Zumindest ein Flüchtling befindet sich deswegen bereits im Knast.
Die Idee der Aktionstage genau vor dem Abschiebelager sollte es Flüchtlingen erleichtern, teilzunehmen. Denn viele von ihnen haben – verständlicherweise – Angst. Tatsächlich werden Flüchtlinge auf verschiedene Weise eingeschüchtert, wenn sie sich an Protesten beteiligen. Das reicht von Ansprachen, dass sie die nächsten seien, die abgeschoben würden bis hin zu immer wieder Strafanzeigen wegen der lächerlichsten Dinge.
Vor dem Lager meinte dann die Polizei, Stärke durch Präsenz zeigen zu müssen. Der halbe Parkplatz war durch Absperrungen, die durch Polizeiketten gesichert waren, unzugänglich gemacht worden. Das kleine Tor am Pförtnerhäuschen war zwar diesmal nicht noch extra durch Polizei abgesperrt, wie das noch bei der letzten Aktion im September 2005 der Fall war, dennoch war eindeutig eine einschüchternde Schwelle für die BewohnerInnen des Lagers aufgebaut – durch Polizeipräsenz und durch Präsenz verschiedener Angestellter des Lagers bis hin zu Ober-Lagerleiter Lüttgau. Dieser war sich tatsächlich nicht zu blöd, gemeinsam mit seiner Security, diejenigen Flüchtlinge zu fotografieren, die am Aktionstag vor dem Lager teilnahmen.
Trotz all dieser Hürden beteiligten sich an diesem ersten Tag ca. 80 BewohnerInnen des Lagers, unter ihnen sehr viele Kinder. Bei Kaffee und Kuchen wurden Kontakte geknüpft von Menschen außerhalb und innerhalb des Zauns. Und viele gemeinsame Gespräche geführt.
Zwei Stunden später war die Begrüßungskundgebung vorbei, am anschließenden Plenum auf dem Camp nahmen auch eine Reihe Flüchtlinge teil. Sie berichteten hier über die aktuelle Situation im Lager, insbesondere über die Repressionen, denen sie unterliegen, wenn sie zur so genannten “Freiwilligen Ausreise“ genötigt werden sollen.
Nach dem Plenum machten sich ca. 40 AktivistInnen auf den Weg nach Eggermühlen. Hier wohnt Frau Gerdes, Mitarbeiterin der Sozialbehörde des Lagers, die schon seit Jahren dadurch auffällt, ein recht rassistisches Verhältnis zu Flüchtlingen zu haben. Selbst wenn es stimmt, dass sie selbst davon überzeugt ist, ihre Arbeit nach “besten Wissen und Gewissen“ auszuüben, macht das ihr Verhalten nicht besser, sondern zeugt eher davon, wie tief sie für sich verinnerlicht hat, dass Flüchtlinge in ihren Augen Menschen zweiter Klasse sind. Wenn Flüchtlinge sich mit den elementarsten Bitten an “ihre Sozialbetreuerin“ wenden, erhalten sie erst mal die Antwort, dass sie doch das Land verlassen sollen, dann ginge es ihnen schon besser. Mehr als einmal war auch schon von ihr zu hören, dass sie die Menschen aus anderen Ländern für lebensunfähig hält, weshalb sie dringend zentral in Lagern untergebracht werden müssen, damit sie auch gut unter Kontrolle sind. Auch wären ja die Kinder von Flüchtlingen so “unterentwickelt“, dass ihnen erst mal “deutsche Kulturtechniken“ beigebracht werden müssen (wie der Umgang mit Schere und Papier).
Als die AktivistInnen mit Trommeln und Megaphon auf den Hof ihres Hauses kamen, um ihr einen Blumentopf mit “Heimaterde“ zu übergeben flüchtete sie in das Innere. Die Ansprache wird sie wohl trotzdem gehört haben:
„Sehr geehrte Frau Gerdes!
Wir möchten Ihnen heute diesen Blumentopf mit Heimaterde übergeben, damit Sie auch nie vergessen, wo Sie zu Hause sind.
Glück gehabt, Frau Gerdes: Sie sind in Deutschland geboren. Sie haben die 1,26-prozentige Chance genutzt! Wir gratulieren Ihnen herzlich zum Geburtsrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft! Mit diesem hervorragenden Privileg sind Sie nicht nur in der Lage Ihren Wohnsitz innerhalb Deutschlands frei zu wählen, sondern dazu noch aktiv einen Arbeitsplatz zu suchen.
Sie haben sogar das Recht auf ein menschenwürdiges Leben!
Gratulation!
Wollen Sie nicht auch, dass möglichst viele an diesem einzigartigen Angebot teilhaben können?
Scheinbar nicht … Denn jeden Tag drängen Sie die Flüchtlinge dazu, ihre freiwillige Ausreise zu unterschreiben. Um damit auf sämtliche dieser „Angebote“ zu verzichten.
Frau Gerdes, Sie sind Betreuerin im Abschiebelager. Man sollte meinen, sie wollten nur das Beste für Ihre Schützlinge. Ist es da fair, für ein System zu arbeiten das Menschen all diese Möglichkeiten verwehrt?
Sind Sie so naiv oder tun Sie nur so?
Nur durch Menschen wie Sie ist das Betreiben eines Abschiebelagers überhaupt möglich. Sie helfen bei einer großen Sache mit … bleibt nur die Frage: In wessen Interesse?
Frau Gerdes, wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Tag und viel Spaß mit Ihrem neuen Blumentopf voller Heimaterde.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Auf Wiedersehen … “
Auf dem Camp ging es ab 20 Uhr weiter mit einem Workshop zum Zuwanderungsgesetz und Flüchtlingsrechten, mit besonderem Hinblick auf das Abschiebelager. Die Diskussion kreiste vor allem um die Frage, ob und wie auch mit juristischen Mitteln das Abschiebe- und Schikaneregime politisch (!) bekämpft werden könnte. Konkret ging es um die Frage, wie mit Hilfe exemplarischer Musterprozesse der Widerstand gestärkt werden könnte.
Ab 22 Uhr gab’s noch Kino: Gezeigt wurde die Uraufführung eines Kurzclips über die Dachbesetzung im Abschiebelager Bramsche-Hesepe am 2. Mai 2006 sowie weitere Film über Lager und Lagerwiderstand.
2. Tag:
Das Programm des Dienstags begann mit leichter Verspätung um halb 11 mit dem vielfältigen Programm für Kinder. Einige hatten den Zirkus und die Spiele schon sehnsüchtig erwartet und beschwerten sich über unser zu spät kommen – sorry!
Die Beteiligung der Kinder aus dem Lager war großartig und auch der Zirkus war fantastisch. Er wurde dann noch verstärkt von einer Pädagogikklasse der Laborschule Bielefeld, die ihr Programm mit dem Auftritt eines Zauberers beendeten. Stimmung und Beteiligung waren so gut, dass spontan überlegt wurde, mittags gemeinsam auf dem Platz zu essen, um danach dann nach Osnabrück zur Demo zu fahren.
Während des Kinderaktionsvormittages besuchte eine internationale Delegation von terre des hommes (tdh) die AktivistInnen und die Kinder des Lagers. Die Delegierten, die von der Ortsgruppe tdh aus Osnabrück begleitet wurden, kamen aus Indonesien, Peru, Zimbabwe und Guatemala. Allein beim Anblick des Lagers waren sie entsetzt, hätten sie doch so etwas in diesem demokratischen Europa nicht erwartet. Ein Besuch des Lagers wurde ihnen von Seiten des Lagerleiters Bramm nicht gestattet. Zwar war er von dem Anliegen von Seiten von tdh im Vorfeld unterrichtet worden, aber angeblich war ihm das alles so kurzfristig, dass er sich nicht auf den Besuch hätte einstellen können, außerdem habe er so viele andere Termine an diesem Tag. Was schon sehr merkwürdig klingt, war doch das Lager wieder einmal während der Aktionstage für jeglichen Besuch gesperrt. Also verzichtete die Delegation auf die Innenansicht des Lagers, vermerkte allerdings, dass sie solcherlei Reaktion und auch Repression von den Lagern in ihren eigenen Ländern kennt.
Die Delegierten führten ein Gespräch mit Kindern vor dem Lager. Diese hatten sich auf den Besuch vorbereitet und einen Brief formuliert, den sie nun vortrugen. Sie wurden dabei durch viele Nachfragen der Delegation unterbrochen, und den immer wieder erstaunten Anmerkungen, dass sie solcherlei Umgang mit Menschen nur aus Ländern mit Unrechtsregimen kennen. Entsprechend formulierten die tdh-Delegierten am Ende ihren Gesamteindruck: Ihnen sei hier das andere Gesicht von Deutschland gezeigt worden. Auch bei kritischen Menschen in anderen Teilen der Welt gäbe es das Bild des humanitären Europa, das Flüchtlinge nicht nur aufnimmt, sondern ihnen auch eine Chance gebe. Nun sei ihnen klar geworden, dass das absolut nicht der Fall ist. Der Delegierte aus Guatemala, der dem Volk der Maja angehört, wandte sich am Ende noch persönlich an die Mädchen, die sich die Zeit genommen hatten, ausführlich zu berichten. Er erzählte ihnen, dass viele Maja in den USA in ähnlichen Lagern leben müssten, und dass diese Menschen ein Band für das Handgelenk weben, das mit vier Perlen bestickt ist. Die Farben des Bandes und die Perlen symbolisieren insgesamt die Menschlichkeit, eine Farbe steht für die Jugend. Das Band ist für die internierten Flüchtlinge das Symbol dafür, niemals die Hoffnung aufzugeben. Er schenkte dann den Mädchen je ein solches Band und bat auch sie: gebt nie die Hoffnung auf. Die Delegation bedankte sich noch einmal sehr für die Einladung, sie meinten, dass sie sehr erschüttert seien und erst mal ein wenig Zeit bräuchten, um das Erlebte zu verarbeiten.
Nach Abschluss des Vormittages fuhren alle gemeinsam nach Osnabrück zur Speakers Corner und zur Demonstration. Ca. 300 Leute beteiligten sich, einschließlich der BewohnerInnen des Lagers.
Um 16 Uhr begann die Speakers Corner auf dem Nikolaiort in der Fußgängerzone.
Wenig schön war, dass nun die Polizei zeigen wollte, dass auch sie was zu sagen hat. Sie reagierten, als würden sie in Kürze einen Amoklauf erwarten und nicht eine “friedliche“ Demonstration. Alle paar Minuten wurde auf unsinnige Demoauflagen hingewiesen, die unbedingt einzuhalten seien, weil sie ansonsten eingreifen müssten, zum Beispiel, dass ein Transparent nicht länger als 2,50m sein darf. Dass sie dann auch den gesamten Demonstrationszug mit einer Art lockeren Spalier begleiteten, traf bei vielen TeilnehmerInnen auf Unverständnis, genauso wie das Runterschubsen vom Gehweg, sobald jemand wagte, diesen zu betreten (angeblich besagten die Demoauflagen, dass die Demo sich nur auf der Straße bewegen darf). Aber wir wollen uns hier nicht an unsinnigen Einschätzungen der Polizei abarbeiten, wo es geht werden wir die von ihnen gesetzten Grenzen sowieso überschreiten.
Während der Speakers Corner nahmen sich einige Flüchtlinge die Möglichkeit, um der Öffentlichkeit über das Mikrofon mitzuteilen, wie sich ihre Situation in Deutschlands größtem Abschiebelager darstellt. Beendet wurde die Kundgebung mit einem kleinen Straßentheaterstück zum Thema: “Die Welt zu Gast bei Freunden!?“. Die Demo selbst war dann – typisch für NoLager – laut, bunt und mit einer unglaublich guten Stimmung. Sie endete wiederum auf dem Nikolaiort. Von hier gingen die TeilnehmerInnen dann in den Schloßgarten zum gemeinsamen Essen und der darauf folgenden Veranstaltung im Schloß mit Wolf-Dieter Narr und Flüchtlingen des Lagers. Karl Kopp von Pro Asyl musste leider kurzfristig aus Krankheitsgründen absagen.
Wolf-Dieter Narr berichtete von seinem zweitägigen Aufenthalt im Lager und analysierte aus seiner Sicht die Lagerpolitik in Deutschland (und Europa). Er forderte die Abschaffung der Lager ohne Kompromiss und stellte das Abschiebelager Bramsche-Hesepe als eines der schlimmsten dar. Seine Erfahrungen und Analysen wird es in Kürze auch in Form einer schriftlichen Veröffentlichung geben, worauf jetzt schon mal hingewiesen sei.
Das, was Wolf-Dieter Narr noch relativ theoretisch formulierte, wurde dann durch die persönlichen Berichte von BewohnerInnen des Lagers unterstrichen. In der anschließenden Diskussion tauchte die Frage nach Handlungsmöglichkeiten auf. Schienen bei dieser Fragestellung erst einmal einige BesucherInnen der Veranstaltung ratlos zu sein, so wurde doch schnell klar, dass es sehr viele Handlungsmöglichkeiten gibt, von denen nur ein Teil ja schon am Abend zuvor diskutiert worden war. Niemand braucht sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, dass der Kampf gegen Lager sinnlos sei.
Um 22 Uhr waren alle fix und fertig aber auch zufrieden mit diesem ereignisreichen Tag.
3. Tag:
Für einige begann der Mittwoch früh. Noch einmal besuchten AktivistInnen einen Mitarbeiter des Lagers, noch vor Dienstbeginn, um 6.30 Uhr. Diesmal war es der Hausmeister Herr Brylski, der in Ueffeln wohnt. Noch im Unterhemd nahm er die eigens für ihn erstellte Urkunde nicht persönlich entgegen. Aber auch er wird die Ansprache wohl vernommen haben:
„Hallo Herr Jerzy Brylski!
Als Hausmeister habe Sie viele Aufgaben. Sie sorgen für Ordnung und Sauberkeit und Sie können einfach alles reparieren. Sicher brauchen Sie dafür viel Talent – und natürlich Werkzeug. Nur eines verstehen wir nicht: Wozu brauchen Sie eigentlich Ihren Gummiknüppel? Uns fällt irgendwie nur eine Verwendungsmöglichkeit ein, von der Sie ja auch schon Gebrauch gemacht haben …
Sie schlugen in der Vergangenheit mehrfach auf Kopf und Arm eines Flüchtlings ein. Sie scheinen ja mit vollem Einsatz dabei zu sein und haben sich Ihre Aufnahme in das Abschiebelager-All-Stars-Team daher redlich verdient. Deswegen, Herr Brylski, überreichen wir Ihnen diese Urkunde für Ihren unermüdlichen Einsatz in der Abschiebemaschinerie.
Auch Sie tragen Ihren Teil dazu bei und sorgen für zusätzlichen Druck auf die Flüchtlinge.
Wir fragen uns, für wen Sie das eigentlich tun … woher nehmen Sie den Antrieb für Ihre Begeisterung? Woher nehmen sie die Motivation, Menschen zu unterdrücken, die sowieso schon am Boden sind? Diese Menschen sind hier her gekommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Was sie bekommen, wissen Sie, Herr Brylski, selbst am Besten. Hoffentlich finden Sie einen netten Platz für ihre Urkunde.
Auf Wiedersehen!“
Vom Camp aus zog dann noch einmal eine Gruppe AktivistInnen vor das Abschiebelager, um weitere Flüchtlinge zum Abschlussplenum einzuladen und gemeinsam mit den Flüchtlingen wurde ein Resümee gezogen und über Perspektiven diskutiert. Das Plenum endete mit der Perspektive vieler Handlungsmöglichkeiten und der Einrichtung verschiedener Arbeitsgruppen, die zu den vielfältigen Aspekten der Lagerpolitik weiter arbeiten werden.
Danach folgte noch die gewaltige logistische Aufgabe des Abbaus. Wir danken allen, die sich daran und auch sonst an der Gestaltung des Camps beteiligt haben. Ein besonderer Dank auch von hier aus noch mal an die Gruppe der Volxküche, die uns während des Camps so hervorragend und lecker versorgt hat, ihr seid nächstes Jahr wieder eingeladen!
Was hat es gebracht:
Ein Camp, wie das jetzt in Bramsche-Hesepe, sieht immer leicht und locker aus, wenn es denn steht. Tatsächlich steckt in den Wochen und Monaten vorher darin unglaublich viel Arbeit. Aber diese Arbeit hat sich gelohnt. Nach außen hin ist so ein Camp der Highlight der Politik, die hier für viele sichtbar wird. Dennoch hätten solche Aktionstage keinen Sinn, wenn es nicht die alltägliche politische Arbeit gäbe, denn nur sie macht das Camp auch erfolgreich.
Als sehr positiv konnten wir schon im Vorhinein vermerken, dass die Aktionstage gemeinsam vom NoLager-Netzwerk und von Flüchtlingen vorbereitet wurden. Die aktiven Flüchtlinge verstehen sich schon seit einiger Zeit als Teil des NoLager-Netzwerks.
Auch wenn die verantwortlichen Behörden, einschließlich der Polizei, nicht müde wurden und nicht müde werden, in der Öffentlichkeit zu verbreiten, die BewohnerInnen des Lagers hätten kein Interesse an dem Protest, ist doch eindeutig festzustellen, dass sehr Viele nicht nur teilgenommen haben, sondern sich auch aktiv beteiligt haben. Was ihre Beteiligung angeht, ist über all die Jahre hinweg, in denen Proteste zu dem Lager laufen, eine Steigerung zu sehen.
Viele TeilnehmerInnen des Camps haben dieses nicht als ein einmaliges Event gesehen, sondern als einen Raum, um Perspektiven für die weitere Arbeit zu entwickeln. Diese wird nun auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Anhand einzelner Fälle wird die Lagerpolitik sowohl politisch als auch juristisch angegangen werden. Darüber besteht die Möglichkeit, das Lagerregime öffentlich zu entlarven, es wird einzelnen geholfen und zeigt anderen BewohnerInnen des Lagers, dass im Widerstand durchaus eine Perspektive besteht.
Der Bereich der medizinischen Versorgung wird ein weiterer Schwerpunkt sein, ebenso wie die Lagerschule.
Nicht zuletzt sind überhaupt auf den Aktionstagen viele neue Kontakte entstanden, die der Anti-Lager-Politik ein persönliches Gesicht geben, dadurch die Isolation ein Stück weit durchbrochen haben und dem Engagement einen weiteren Sinn geben.
Sehr schön ist auch die Ankündigung des Kinderzirkusses, nun regelmäßig in die Nähe des Lagers zu kommen, um die Kinder aus der politisch gewollten Trostlosigkeit herauszuholen, vielleicht kommen ja auch Kinder aus Hesepe dazu, so dass sich daraus eine eigene Dynamik entwickelt. Der erste Zirkustermin ist am 8. Juli, ab 15 Uhr, voraussichtlich wieder auf der Wiese an der Ostlandstraße, auf der auch das Camp stattgefunden hat.
Mit den Aktionstagen haben wir dieses Mal auf eine andere Weise den Zaun flach gelegt, und das ist sehr viel nachhaltiger. Den realen Zaun um das Lager können wir jederzeit wieder umhauen. Denn eines ist klar: die Umzäunung, die Menschen isoliert in Lagern hält, wird so lange kaputt gemacht, bis es keine Lager mehr gibt!Aktionstage Bramsche: Gesamtbericht / Wir wollen nicht im Lager leben / Abschiebelager Bramsche dicht machen! / Bericht von den Aktionstagen 5. bis 7. Juni 2006
Auf dem Schützenfest in Hesepe – wahrscheinlich sonst das Highlight im Jahreslauf des doch so beschaulichen Ortes in der Nähe von Bramsche (Landkreis Osnabrück) – ging es schon hoch her. Beim Zechgelage zum Abschluss, am Pfingstsonntag, wurde heiß diskutiert, ob denn ein weiteres Camp gegen das Abschiebelager zugelassen werden darf oder nicht mit sofortiger Wirkung verboten gehört. Doch leider war Feiertag und die Behörden nicht mehr erreichbar. Also waren die braven HeseperInnen mit ihrer Diskussion allein und hätten sich doch bald schon gegenseitig verprügelt, ob dieser Frage.
1. Tag:
Am Morgen des Pfingstmontag, als die ersten AktivistInnen angereist waren, um das Camp aufzubauen, waren die HeseperInnen wieder nüchtern oder hatten noch einen dicken Kopf, auf jeden Fall duldeten sie das Camp stillschweigend.
Ab Mittag reisten die TeilnehmerInnen des Camps an und die erste große Gruppe ging als Demonstration zum Parkplatz vor dem Abschiebelager zur Begrüßungskundgebung. Dabei wurde ein kurzer Umweg durch das Dorf gemacht, bevor es am Lager losging, das ansonsten ca. 10 Minuten Fußweg vom Camp entfernt liegt. Dieser Fußweg führte direkt am Lagerzaun vorbei, die Polizei hatte darauf verzichtet, alles abzusperren, das hätte das Polizeiaufgebot noch mehr in die Höhe getrieben und so wurde aus Kostengründen darauf verzichtet. Nicht zu teuer und nicht zu doof war den BetreiberInnen des Lagers die erneute Aufrüstung des Zaunes, der in den Tagen zuvor durch reichlich Baumatten verstärkt worden war. Aber vielleicht haben die Behörden auch begriffen, dass wir selbst entscheiden, wann wir das Lager stürmen oder nicht und dass das zu jedem anderen Zeitpunkt möglich ist, und nicht immer nur ausgerechnet dann, wenn vor dem Lager eine Kundgebung angemeldet ist – siehe 2. Mai 2006: Eindringen in das Lager und Dachbesetzung.
Die Aktionstage waren gemeinsam vom NoLager-Netzwerk und BewohnerInnen des Abschiebelagers vorbereitet worden – auf Anregung der aktiven Flüchtlinge, die gegen die Lagerunterbringung kämpfen. Zum einen sollte einmal mehr gegen die Lagerpolitik protestiert werden, allgemein und konkret am Beispiel dieses einmaligen Modellprojektes, zum anderen sollten aktuelle Repressionen und Schikanen thematisiert werden, denen politisch aktive Flüchtlinge unterliegen und auch Repressionen, die alle Flüchtlinge treffen, die einer “Freiwilligen Rückkehr“ nicht zustimmen, insbesondere Strafbefehle mit Geldstrafe bzw. ersatzweise Haft. Zumindest ein Flüchtling befindet sich deswegen bereits im Knast.
Die Idee der Aktionstage genau vor dem Abschiebelager sollte es Flüchtlingen erleichtern, teilzunehmen. Denn viele von ihnen haben – verständlicherweise – Angst. Tatsächlich werden Flüchtlinge auf verschiedene Weise eingeschüchtert, wenn sie sich an Protesten beteiligen. Das reicht von Ansprachen, dass sie die nächsten seien, die abgeschoben würden bis hin zu immer wieder Strafanzeigen wegen der lächerlichsten Dinge.
Vor dem Lager meinte dann die Polizei, Stärke durch Präsenz zeigen zu müssen. Der halbe Parkplatz war durch Absperrungen, die durch Polizeiketten gesichert waren, unzugänglich gemacht worden. Das kleine Tor am Pförtnerhäuschen war zwar diesmal nicht noch extra durch Polizei abgesperrt, wie das noch bei der letzten Aktion im September 2005 der Fall war, dennoch war eindeutig eine einschüchternde Schwelle für die BewohnerInnen des Lagers aufgebaut – durch Polizeipräsenz und durch Präsenz verschiedener Angestellter des Lagers bis hin zu Ober-Lagerleiter Lüttgau. Dieser war sich tatsächlich nicht zu blöd, gemeinsam mit seiner Security, diejenigen Flüchtlinge zu fotografieren, die am Aktionstag vor dem Lager teilnahmen.
Trotz all dieser Hürden beteiligten sich an diesem ersten Tag ca. 80 BewohnerInnen des Lagers, unter ihnen sehr viele Kinder. Bei Kaffee und Kuchen wurden Kontakte geknüpft von Menschen außerhalb und innerhalb des Zauns. Und viele gemeinsame Gespräche geführt.
Zwei Stunden später war die Begrüßungskundgebung vorbei, am anschließenden Plenum auf dem Camp nahmen auch eine Reihe Flüchtlinge teil. Sie berichteten hier über die aktuelle Situation im Lager, insbesondere über die Repressionen, denen sie unterliegen, wenn sie zur so genannten “Freiwilligen Ausreise“ genötigt werden sollen.
Nach dem Plenum machten sich ca. 40 AktivistInnen auf den Weg nach Eggermühlen. Hier wohnt Frau Gerdes, Mitarbeiterin der Sozialbehörde des Lagers, die schon seit Jahren dadurch auffällt, ein recht rassistisches Verhältnis zu Flüchtlingen zu haben. Selbst wenn es stimmt, dass sie selbst davon überzeugt ist, ihre Arbeit nach “besten Wissen und Gewissen“ auszuüben, macht das ihr Verhalten nicht besser, sondern zeugt eher davon, wie tief sie für sich verinnerlicht hat, dass Flüchtlinge in ihren Augen Menschen zweiter Klasse sind. Wenn Flüchtlinge sich mit den elementarsten Bitten an “ihre Sozialbetreuerin“ wenden, erhalten sie erst mal die Antwort, dass sie doch das Land verlassen sollen, dann ginge es ihnen schon besser. Mehr als einmal war auch schon von ihr zu hören, dass sie die Menschen aus anderen Ländern für lebensunfähig hält, weshalb sie dringend zentral in Lagern untergebracht werden müssen, damit sie auch gut unter Kontrolle sind. Auch wären ja die Kinder von Flüchtlingen so “unterentwickelt“, dass ihnen erst mal “deutsche Kulturtechniken“ beigebracht werden müssen (wie der Umgang mit Schere und Papier).
Als die AktivistInnen mit Trommeln und Megaphon auf den Hof ihres Hauses kamen, um ihr einen Blumentopf mit “Heimaterde“ zu übergeben flüchtete sie in das Innere. Die Ansprache wird sie wohl trotzdem gehört haben:
„Sehr geehrte Frau Gerdes!
Wir möchten Ihnen heute diesen Blumentopf mit Heimaterde übergeben, damit Sie auch nie vergessen, wo Sie zu Hause sind.
Glück gehabt, Frau Gerdes: Sie sind in Deutschland geboren. Sie haben die 1,26-prozentige Chance genutzt! Wir gratulieren Ihnen herzlich zum Geburtsrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft! Mit diesem hervorragenden Privileg sind Sie nicht nur in der Lage Ihren Wohnsitz innerhalb Deutschlands frei zu wählen, sondern dazu noch aktiv einen Arbeitsplatz zu suchen.
Sie haben sogar das Recht auf ein menschenwürdiges Leben!
Gratulation!
Wollen Sie nicht auch, dass möglichst viele an diesem einzigartigen Angebot teilhaben können?
Scheinbar nicht … Denn jeden Tag drängen Sie die Flüchtlinge dazu, ihre freiwillige Ausreise zu unterschreiben. Um damit auf sämtliche dieser „Angebote“ zu verzichten.
Frau Gerdes, Sie sind Betreuerin im Abschiebelager. Man sollte meinen, sie wollten nur das Beste für Ihre Schützlinge. Ist es da fair, für ein System zu arbeiten das Menschen all diese Möglichkeiten verwehrt?
Sind Sie so naiv oder tun Sie nur so?
Nur durch Menschen wie Sie ist das Betreiben eines Abschiebelagers überhaupt möglich. Sie helfen bei einer großen Sache mit … bleibt nur die Frage: In wessen Interesse?
Frau Gerdes, wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Tag und viel Spaß mit Ihrem neuen Blumentopf voller Heimaterde.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Auf Wiedersehen … “
Auf dem Camp ging es ab 20 Uhr weiter mit einem Workshop zum Zuwanderungsgesetz und Flüchtlingsrechten, mit besonderem Hinblick auf das Abschiebelager. Die Diskussion kreiste vor allem um die Frage, ob und wie auch mit juristischen Mitteln das Abschiebe- und Schikaneregime politisch (!) bekämpft werden könnte. Konkret ging es um die Frage, wie mit Hilfe exemplarischer Musterprozesse der Widerstand gestärkt werden könnte.
Ab 22 Uhr gab’s noch Kino: Gezeigt wurde die Uraufführung eines Kurzclips über die Dachbesetzung im Abschiebelager Bramsche-Hesepe am 2. Mai 2006 sowie weitere Film über Lager und Lagerwiderstand.
2. Tag:
Das Programm des Dienstags begann mit leichter Verspätung um halb 11 mit dem vielfältigen Programm für Kinder. Einige hatten den Zirkus und die Spiele schon sehnsüchtig erwartet und beschwerten sich über unser zu spät kommen – sorry!
Die Beteiligung der Kinder aus dem Lager war großartig und auch der Zirkus war fantastisch. Er wurde dann noch verstärkt von einer Pädagogikklasse der Laborschule Bielefeld, die ihr Programm mit dem Auftritt eines Zauberers beendeten. Stimmung und Beteiligung waren so gut, dass spontan überlegt wurde, mittags gemeinsam auf dem Platz zu essen, um danach dann nach Osnabrück zur Demo zu fahren.
Während des Kinderaktionsvormittages besuchte eine internationale Delegation von terre des hommes (tdh) die AktivistInnen und die Kinder des Lagers. Die Delegierten, die von der Ortsgruppe tdh aus Osnabrück begleitet wurden, kamen aus Indonesien, Peru, Zimbabwe und Guatemala. Allein beim Anblick des Lagers waren sie entsetzt, hätten sie doch so etwas in diesem demokratischen Europa nicht erwartet. Ein Besuch des Lagers wurde ihnen von Seiten des Lagerleiters Bramm nicht gestattet. Zwar war er von dem Anliegen von Seiten von tdh im Vorfeld unterrichtet worden, aber angeblich war ihm das alles so kurzfristig, dass er sich nicht auf den Besuch hätte einstellen können, außerdem habe er so viele andere Termine an diesem Tag. Was schon sehr merkwürdig klingt, war doch das Lager wieder einmal während der Aktionstage für jeglichen Besuch gesperrt. Also verzichtete die Delegation auf die Innenansicht des Lagers, vermerkte allerdings, dass sie solcherlei Reaktion und auch Repression von den Lagern in ihren eigenen Ländern kennt.
Die Delegierten führten ein Gespräch mit Kindern vor dem Lager. Diese hatten sich auf den Besuch vorbereitet und einen Brief formuliert, den sie nun vortrugen. Sie wurden dabei durch viele Nachfragen der Delegation unterbrochen, und den immer wieder erstaunten Anmerkungen, dass sie solcherlei Umgang mit Menschen nur aus Ländern mit Unrechtsregimen kennen. Entsprechend formulierten die tdh-Delegierten am Ende ihren Gesamteindruck: Ihnen sei hier das andere Gesicht von Deutschland gezeigt worden. Auch bei kritischen Menschen in anderen Teilen der Welt gäbe es das Bild des humanitären Europa, das Flüchtlinge nicht nur aufnimmt, sondern ihnen auch eine Chance gebe. Nun sei ihnen klar geworden, dass das absolut nicht der Fall ist. Der Delegierte aus Guatemala, der dem Volk der Maja angehört, wandte sich am Ende noch persönlich an die Mädchen, die sich die Zeit genommen hatten, ausführlich zu berichten. Er erzählte ihnen, dass viele Maja in den USA in ähnlichen Lagern leben müssten, und dass diese Menschen ein Band für das Handgelenk weben, das mit vier Perlen bestickt ist. Die Farben des Bandes und die Perlen symbolisieren insgesamt die Menschlichkeit, eine Farbe steht für die Jugend. Das Band ist für die internierten Flüchtlinge das Symbol dafür, niemals die Hoffnung aufzugeben. Er schenkte dann den Mädchen je ein solches Band und bat auch sie: gebt nie die Hoffnung auf. Die Delegation bedankte sich noch einmal sehr für die Einladung, sie meinten, dass sie sehr erschüttert seien und erst mal ein wenig Zeit bräuchten, um das Erlebte zu verarbeiten.
Nach Abschluss des Vormittages fuhren alle gemeinsam nach Osnabrück zur Speakers Corner und zur Demonstration. Ca. 300 Leute beteiligten sich, einschließlich der BewohnerInnen des Lagers.
Um 16 Uhr begann die Speakers Corner auf dem Nikolaiort in der Fußgängerzone.
Wenig schön war, dass nun die Polizei zeigen wollte, dass auch sie was zu sagen hat. Sie reagierten, als würden sie in Kürze einen Amoklauf erwarten und nicht eine “friedliche“ Demonstration. Alle paar Minuten wurde auf unsinnige Demoauflagen hingewiesen, die unbedingt einzuhalten seien, weil sie ansonsten eingreifen müssten, zum Beispiel, dass ein Transparent nicht länger als 2,50m sein darf. Dass sie dann auch den gesamten Demonstrationszug mit einer Art lockeren Spalier begleiteten, traf bei vielen TeilnehmerInnen auf Unverständnis, genauso wie das Runterschubsen vom Gehweg, sobald jemand wagte, diesen zu betreten (angeblich besagten die Demoauflagen, dass die Demo sich nur auf der Straße bewegen darf). Aber wir wollen uns hier nicht an unsinnigen Einschätzungen der Polizei abarbeiten, wo es geht werden wir die von ihnen gesetzten Grenzen sowieso überschreiten.
Während der Speakers Corner nahmen sich einige Flüchtlinge die Möglichkeit, um der Öffentlichkeit über das Mikrofon mitzuteilen, wie sich ihre Situation in Deutschlands größtem Abschiebelager darstellt. Beendet wurde die Kundgebung mit einem kleinen Straßentheaterstück zum Thema: “Die Welt zu Gast bei Freunden!?“. Die Demo selbst war dann – typisch für NoLager – laut, bunt und mit einer unglaublich guten Stimmung. Sie endete wiederum auf dem Nikolaiort. Von hier gingen die TeilnehmerInnen dann in den Schloßgarten zum gemeinsamen Essen und der darauf folgenden Veranstaltung im Schloß mit Wolf-Dieter Narr und Flüchtlingen des Lagers. Karl Kopp von Pro Asyl musste leider kurzfristig aus Krankheitsgründen absagen.
Wolf-Dieter Narr berichtete von seinem zweitägigen Aufenthalt im Lager und analysierte aus seiner Sicht die Lagerpolitik in Deutschland (und Europa). Er forderte die Abschaffung der Lager ohne Kompromiss und stellte das Abschiebelager Bramsche-Hesepe als eines der schlimmsten dar. Seine Erfahrungen und Analysen wird es in Kürze auch in Form einer schriftlichen Veröffentlichung geben, worauf jetzt schon mal hingewiesen sei.
Das, was Wolf-Dieter Narr noch relativ theoretisch formulierte, wurde dann durch die persönlichen Berichte von BewohnerInnen des Lagers unterstrichen. In der anschließenden Diskussion tauchte die Frage nach Handlungsmöglichkeiten auf. Schienen bei dieser Fragestellung erst einmal einige BesucherInnen der Veranstaltung ratlos zu sein, so wurde doch schnell klar, dass es sehr viele Handlungsmöglichkeiten gibt, von denen nur ein Teil ja schon am Abend zuvor diskutiert worden war. Niemand braucht sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, dass der Kampf gegen Lager sinnlos sei.
Um 22 Uhr waren alle fix und fertig aber auch zufrieden mit diesem ereignisreichen Tag.
3. Tag:
Für einige begann der Mittwoch früh. Noch einmal besuchten AktivistInnen einen Mitarbeiter des Lagers, noch vor Dienstbeginn, um 6.30 Uhr. Diesmal war es der Hausmeister Herr Brylski, der in Ueffeln wohnt. Noch im Unterhemd nahm er die eigens für ihn erstellte Urkunde nicht persönlich entgegen. Aber auch er wird die Ansprache wohl vernommen haben:
„Hallo Herr Jerzy Brylski!
Als Hausmeister habe Sie viele Aufgaben. Sie sorgen für Ordnung und Sauberkeit und Sie können einfach alles reparieren. Sicher brauchen Sie dafür viel Talent – und natürlich Werkzeug. Nur eines verstehen wir nicht: Wozu brauchen Sie eigentlich Ihren Gummiknüppel? Uns fällt irgendwie nur eine Verwendungsmöglichkeit ein, von der Sie ja auch schon Gebrauch gemacht haben …
Sie schlugen in der Vergangenheit mehrfach auf Kopf und Arm eines Flüchtlings ein. Sie scheinen ja mit vollem Einsatz dabei zu sein und haben sich Ihre Aufnahme in das Abschiebelager-All-Stars-Team daher redlich verdient. Deswegen, Herr Brylski, überreichen wir Ihnen diese Urkunde für Ihren unermüdlichen Einsatz in der Abschiebemaschinerie.
Auch Sie tragen Ihren Teil dazu bei und sorgen für zusätzlichen Druck auf die Flüchtlinge.
Wir fragen uns, für wen Sie das eigentlich tun … woher nehmen Sie den Antrieb für Ihre Begeisterung? Woher nehmen sie die Motivation, Menschen zu unterdrücken, die sowieso schon am Boden sind? Diese Menschen sind hier her gekommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Was sie bekommen, wissen Sie, Herr Brylski, selbst am Besten. Hoffentlich finden Sie einen netten Platz für ihre Urkunde.
Auf Wiedersehen!“
Vom Camp aus zog dann noch einmal eine Gruppe AktivistInnen vor das Abschiebelager, um weitere Flüchtlinge zum Abschlussplenum einzuladen und gemeinsam mit den Flüchtlingen wurde ein Resümee gezogen und über Perspektiven diskutiert. Das Plenum endete mit der Perspektive vieler Handlungsmöglichkeiten und der Einrichtung verschiedener Arbeitsgruppen, die zu den vielfältigen Aspekten der Lagerpolitik weiter arbeiten werden.
Danach folgte noch die gewaltige logistische Aufgabe des Abbaus. Wir danken allen, die sich daran und auch sonst an der Gestaltung des Camps beteiligt haben. Ein besonderer Dank auch von hier aus noch mal an die Gruppe der Volxküche, die uns während des Camps so hervorragend und lecker versorgt hat, ihr seid nächstes Jahr wieder eingeladen!
Was hat es gebracht:
Ein Camp, wie das jetzt in Bramsche-Hesepe, sieht immer leicht und locker aus, wenn es denn steht. Tatsächlich steckt in den Wochen und Monaten vorher darin unglaublich viel Arbeit. Aber diese Arbeit hat sich gelohnt. Nach außen hin ist so ein Camp der Highlight der Politik, die hier für viele sichtbar wird. Dennoch hätten solche Aktionstage keinen Sinn, wenn es nicht die alltägliche politische Arbeit gäbe, denn nur sie macht das Camp auch erfolgreich.
Als sehr positiv konnten wir schon im Vorhinein vermerken, dass die Aktionstage gemeinsam vom NoLager-Netzwerk und von Flüchtlingen vorbereitet wurden. Die aktiven Flüchtlinge verstehen sich schon seit einiger Zeit als Teil des NoLager-Netzwerks.
Auch wenn die verantwortlichen Behörden, einschließlich der Polizei, nicht müde wurden und nicht müde werden, in der Öffentlichkeit zu verbreiten, die BewohnerInnen des Lagers hätten kein Interesse an dem Protest, ist doch eindeutig festzustellen, dass sehr Viele nicht nur teilgenommen haben, sondern sich auch aktiv beteiligt haben. Was ihre Beteiligung angeht, ist über all die Jahre hinweg, in denen Proteste zu dem Lager laufen, eine Steigerung zu sehen.
Viele TeilnehmerInnen des Camps haben dieses nicht als ein einmaliges Event gesehen, sondern als einen Raum, um Perspektiven für die weitere Arbeit zu entwickeln. Diese wird nun auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Anhand einzelner Fälle wird die Lagerpolitik sowohl politisch als auch juristisch angegangen werden. Darüber besteht die Möglichkeit, das Lagerregime öffentlich zu entlarven, es wird einzelnen geholfen und zeigt anderen BewohnerInnen des Lagers, dass im Widerstand durchaus eine Perspektive besteht.
Der Bereich der medizinischen Versorgung wird ein weiterer Schwerpunkt sein, ebenso wie die Lagerschule.
Nicht zuletzt sind überhaupt auf den Aktionstagen viele neue Kontakte entstanden, die der Anti-Lager-Politik ein persönliches Gesicht geben, dadurch die Isolation ein Stück weit durchbrochen haben und dem Engagement einen weiteren Sinn geben.
Sehr schön ist auch die Ankündigung des Kinderzirkusses, nun regelmäßig in die Nähe des Lagers zu kommen, um die Kinder aus der politisch gewollten Trostlosigkeit herauszuholen, vielleicht kommen ja auch Kinder aus Hesepe dazu, so dass sich daraus eine eigene Dynamik entwickelt. Der erste Zirkustermin ist am 8. Juli, ab 15 Uhr, voraussichtlich wieder auf der Wiese an der Ostlandstraße, auf der auch das Camp stattgefunden hat.
Mit den Aktionstagen haben wir dieses Mal auf eine andere Weise den Zaun flach gelegt, und das ist sehr viel nachhaltiger. Den realen Zaun um das Lager können wir jederzeit wieder umhauen. Denn eines ist klar: die Umzäunung, die Menschen isoliert in Lagern hält, wird so lange kaputt gemacht, bis es keine Lager mehr gibt!