Moin!
Bevor ich mit unserer Rede beginne, möchte ich eine Trigger-Warnung aussprechen. Diese Rede beinhaltet Themen zu sexueller Gewalt, Vergewaltigung und Flucht.
Wir sind heute hier, um als No Lager Osnabrück einen Redebeitrag für den Internationalen Feministischen Kampftag zu halten. No Lager ist eine Osnabrücker-Gruppe, die sich aus Geflüchteten und Supporter*innen zusammensetzt. Uns ist sehr wichtig auszuformulieren, dass sich dieser Redebeitrag explizit an FLINTA Personen richtet. Also an Frauen, Lesben, Inter-, Non-binary, Trans und Agender Personen und alle anderen Menschen, die sich jenseits von heteronormativen Geschlechtsnormen einordnen.
Da wir uns mit No Lager unter Anderem primär mit dem Schwerpunkt Flucht auseinandersetzen, haben wir uns entschieden, auf die Situation von FLINTA Personen, sowohl auf, als auch nach der Flucht einzugehen. Im Anschluss folgt ein persönlicher Erfahrungsbericht einer geflüchteten Frau, die Teil unserer Gruppe ist.
Aktuell sind ca. die Hälfte der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, FLINTA Personen. Sie sind sehr häufig von intersektionaler Diskriminierung betroffen. Massiver Rassismus und Sexismus begleitet FLINTA Personen vor, auf und nach der Flucht. Die Flucht an sich sorgt bereits dafür, dass Menschen, die oft schon aufgrund der Erfahrungen in ihrem Herkunftsland traumatisiert sind, weitere traumatisierende Erfahrungen machen müssen. So ist insbesondere für FLINTA Personen sexualisierte Gewalt traurige Realität. Sexualisierte Gewalt wird zum Beispiel als Waffe im Krieg und/ oder zur Unterdrückung genutzt. Teilweise werden sie in die Zwangsprostitution gedrängt , um ihre Flucht finanzieren oder fortführen zu können. Andere Formen der sexualisierten Gewalt, vor der FLINTA Personen fliehen oder die sie auf der Flucht erfahren, sind: Ehrenmorde, Zwangsabtreibungen, Zwangsheirat, Zwangssterilisierung und (Genital-)Verstümmelungen, Witwenverbrennungen oder Vergewaltigungen. Und das sind nur die Gewaltformen die der sexualisierten Gewalt zugeordnet werden!
Obwohl geschlechtsspezifische Gewalterfahrungen als Fluchtgrund anerkannt sind, sieht die Realität definitiv anders aus. Dank unseren wunderbaren Bundesregierungen der letzten Jahre, die sich über Abschiebungen, Abschottungspolitik und Menschen unwürdige Verhältnisse profilieren, werden trotzdem Menschen mit geschlechtsspezifische Gewalterfahrungen skrupellos abgeschoben. Das dürfen und vor allem wollen wir so nicht hinnehmen!
Auch bei ihrer Ankunft in Deutschland sind die Bedingungen für FLINTA Personen in einem Großteil der Fälle mehr als unzureichend. Viele der Unterkünfte sind nicht entsprechend den Bedürfnissen der FLINTA Personen ausgelegt. Häufig gibt es nicht genügend Schutzräume oder sogenannte Frauentrakte. Und warum ist das so? Es gibt viele verschiedene Gründe: mangelnder politischer Wille , ein Mangel an weiblich gelesenem Security Personal in den Unterkünften. Aus verschiedensten Gründen ist es teilweise nicht möglich, FLINTA Personen eine getrennte Unterbringung zu ermöglichen. Außerdem wird die sexuelle Identität in vielen Fällen, wie zum Beispiel bei der Raumzuteilung oder bei Tranfers nicht beachtet. So wurde uns von einem Fall berichtet, bei dem eine Trans-Frau bei der Raumzuteilung mit zwei weiteren Männern untergebracht wurden, da seitens der Landesaufnahme Behörde die Geschlechtsidentität nicht kommuniziert und weitergegeben wurde. Das geht einfach nicht und ist unzumutbar!
Aus aktuellem Anlass wollen wir auch kurz auf die derzeitige Lage in der Ukraine eingehen. Es ist dort gesetzlich nicht erlaubt, eigenständig eine Veränderung des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts vorzunehmen. Dies ist insbesondere für Trans-Personen ein großes Problem. So dürfen zur Zeit Trans-Frauen, da sie als wehrfähige Männer gelten, das Land nicht verlassen. Diese queerfeindliche Politik sorgt dafür, dass Trans-Personen sowohl im Kampf, unter den eingeteilten Truppen, als auch bei möglicher russischer Gefangenschaftsnahme in keinster Weise sicher sind.
Der heutige feministische Kampftag soll eine Erinnerung und ein weiterer Weckruf daran sein, jeden Tag aufs Neue für Gleichberechtigung und Zusammenhalt zu kämpfen.
Wir kämpfen für eine gerechte Verteilung von Macht und Ressourcen sowie Zuständigkeiten jenseits eines patriarchalen, kapitalistischen Systems!
Wir stehen geschlossen gegen die Unterdrückung von FLINTA Personen durch Faschismus, durch patriarchale Strukturen und religiösem Fundamentalismus!
Und nun möchten wir die Geschichte von X erzählen.
„Ich bin X und in Albanien geboren und aufgewachsen. Nach Deutschland sind meine Eltern, mein Mann und ich geflohen, um sicher zu sein. Um uns wieder sicher zu fühlen.
In Albanien gibt es einen Mann, der in kriminelle Machenschaften verwickelt ist. Er saß bereits in Haft, da er ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt und zwangsprostituiert hat. Das Gefängnis konnte er aufgrund korrupter, mit Geld bestechlicher Beamter allerdings wieder schnell verlassen.Vor einiger Zeit fing dieser Mann an, auch mich prostituieren zu wollen. Er hat mich nicht in Ruhe gelassen, mich immer wieder bedroht. Ich sah irgendwann nur noch einen Suizidversuch als Ausweg. Dieser ist gescheitert.
Als mein Mann davon erfahren hat, hat er versucht, mit dem Kriminellen zu sprechen und mich zu verteidigen. Dieser hat daraufhin versucht, meinen Mann abzustechen, ihn am Hals und Kopf verletzt. Mein Mann lag im Krankenhaus, musste dieses aber nach einer Woche wieder verlassen, da er dort von dem Kriminellen und seinen Handlangern mit dem Tod bedroht wurde. Wir haben der Polizei alles erzählt, aber bis auf ein paar Tage Polizeigewahrsam ist wegen der in Albanien weit verbreiteten Korruption nichts passiert. Meinen Mann hab ich dann angefleht, Albanien zu verlassen.
Wir wurden weiter bedroht. Sie kamen ins Haus, haben Steine ins Fenster geschmissen, meine Mutter geschlagen. Gesagt, dass sie uns nicht in Ruhe lassen werden. Daraufhin haben wir uns entschieden, alle Albanien zu verlassen, da uns klar wurde, dass wir dort nicht mehr sicher sind, uns dieser Mann und seine Handlanger nicht in Ruhe lassen werden, bis wir von dort weg sind.
Mein Mann ist immer noch nicht komplett erholt. Meine Mutter, die die Messerattacke mitansehen musste, ist traumatisiert. Auch ich kann nicht schlafen, habe Angst im dunkeln nach Draußen zu gehen und leide unter Erinnerungslücken. Der deutsche Staat möchte nicht anerkennen, dass wir Schutz benötigen, da Albanien ein sicheres Herkunftsland sei und will uns jetzt alle dorthin abschieben. Dort sind wir nicht sicher vor diesem Mann, aber uns wurde gesagt, dass kriminelles Unrecht ja überall passieren könne.“