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Das (ehemalig) größte Abschiebelager Deutschlands in Bramsche- Hesepe, etwa 25 km von Osnabrück entfernt, wurde 2013 mit dem niedersächsischen Regierungswechsel zu Rot-Grün zu einer Landesaufnahmebehörde (LAB).
Zuvor ließen Behörden Geflüchtete durch jahrelange Lageraufenthalte in einem permanent unsicheren Duldungsstatus verharren und arbeiteten gleichzeitig repressiv auf eine „freiwillige Ausreise“ hin. In der LAB, einer ebenfalls zentralierten und isolierenden Erstaufnahmeeinrichtung, sollen Geflüchtete maximal drei Monate untergebracht werden und anschließend in eine kommunale, sogenannte dezentrale Unterbringung transferiert werden.
Fast könnte mensch nun denken, es habe sich zum Positiven verändert- doch der Schein trügt!
Lager bleibt Lager- da hilft auch eine Begriffsänderung nicht. Auch wenn der Aufenthalt nun offiziell limitiert wurde, ist die LAB Bramsche- Hesepe noch immer eine zentralisierte und isolierende, zweifach und mit Stacheldraht umzäunte Massenunterbringung- weit ab von der Zivilgesellschaft.
Die Menschen, die ohnehin von strukturellem, institutionalisierten und gesetzgebenden Rassismus, mangelndem Informationsfluss, sprachlichen Barrieren und nicht zuletzt durch die (alltagsrassistische) Gesellschaft marginalisiert werden, werden hier unter knastartigen Bedingungen zusammengepfercht, in eine Zwangsgemeinschaft gepresst.
Mehr als 1200 Menschen in heruntergekommenen Kasernengebäuden, Metallcontainern, von denen der ausgebrannte Container noch steht, und Partyzelten, in denen mindestens 60 Doppelbetten aus Stahl dicht an dicht stehen- von Privatsphäre keine Spur.
Die Stimme der Betroffenen muss gehört werden und wenn sie das nicht wird, braucht sie ein Sprachrohr. Geflüchtete aus dem Lager Bramsche- Hesepe berichten von mangelnder medizinischer Versorgung, wobei die folglich genannten Beispiele nur eine kleine Auswahl unzähliger Missstände sind: Unbehandelte gebrochene Beine, das Ziehen von Zähnen, weil es billiger als eine adäquate Zahnbehandlung ist, ein Mann mit nur einer Niere, der dringend eine umfassende medizinische Behandlung benötigt, erzählt, er bekomme lediglich Paracetamol zur Schmerzlinderung. Wenn mensch dann zu Ohren kommt, dass eine Person an Krebs gestorben ist, stellt sich doch die Frage, wie die medizinische Behandlung gewesen ist und ob der Tod dieser Person hätte verhindert werden können?!
In Anbetracht dieser Missstände drängt sich der Eindruck auf, dass politisch gewollt eine Situation geschaffen wird, die die „M.[enschenrechte als] die angeborenen unveräußerlichen Rechte eines jeden Menschen, die die moralische und rechtliche Basis der Menschheit bilden“ bewußt verletzen. Und, dass sich dabei über ihren überstaatlichen, „d.h. höher gestellt[en Charakter] als die Rechte des Staates [hinweggesetzt wird]“. (vgl. bpb).
Sie können daher auch nicht von diesem verliehen, sondern nur als solche anerkannt werden.“ (vgl. bpb). Dazu gehören nicht nur körperliche Unversehrtheit, Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung – auch das „Verbot rassistischer, geschlechtlicher, religiöser, politischer und sonstiger Diskriminierung und (…) das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung (…)“ (vgl. bpb) sind impliziert.
Als wenn das nicht schon genug Demütigung, Entmündigung und Diskriminierung wäre, fehlt es an guter Ernährung, Zugang zu Internet und Fernsehen – was die ohnehin schon isolierte Lebenssituation noch verschärft – sowie an Rückzugsraum und Privatsphäre.
Hinzu kommt das aktuelle Anliegen der Bundesrepublik Deutschland, in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium des Kosovos, einer Beschleunigung der Ausweisung von Geflüchteten aus dem Kosovo herbeizuführen. In einem Brief des niedersächsischen Innenministers an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im April 2015 wird von einem „Pilotprojekt“ für die Personengruppe der Geflüchteten aus dem Kosovo berichtet, das vorsieht das Asylverfahren beschleunigt durchzuführen, um die Betroffenen schnellst möglich abzuschieben. In dem Brief ist nicht einmal die Rede von Überprüfung der Asylanträge, sondern ausschließlich von den „Ausreisepflichtigen“ und zeitlichen Fristen der Abschiebeprozedur (vgl. Niedersächs. Flüchtlingsrat, 2015).
In diesem Kontext finden momentan wöchentlich (meist mittwochs zwischen 1- 2 Uhr nachts) Sammelabschiebungen von ca. 30 Menschen (pro Abschiebung) zurück in den Kosovo statt. Das BAMF bezeichnet dieses „beschleunigte Asylverfahren“, das seit Mitte Februar 2015 als bundesweite Operation durchgeführt wird, als „Konzentrierte Aktion“ (vgl. bamf, 2015).
Anders als in den Dublin-III-Fällen, betreten die Betroffenen die EU auf direktem Wege bzw. kommen direkt nach Deutschland, sodass die wenigsten ihre Fingerabdrücke in einem anderen EU- Staat als sog. „Ersteinreiseland“ lassen.
Die Prozedur läuft wie folgt ab: Nach einer Anhörung in der LAB Bramsche-Hesepe, erhalten die Geflüchteten aus dem Kosovo eine (ungewöhnlich) schnelle – innerhalb weniger Tage oder sogar Stunden- fast ausnahmslos negative Benachrichtigung. Damit einhergehend bekommen sie ein Schreiben, in dem sie dazu aufgefordert werden innerhalb 1-2 Wochen ihre „freiwillige Ausreise“ anzutreten und dies mittels einer Unterschrift zu bestätigen. Unterschreiben sie diesen Brief nicht, droht ihnen der Wegfall jeglicher Sozialleistungen sowie eine Wiedereinreisesperre in die EU für 2 – 15 Jahre. Aufgrund großer Angst vor diesem Sperrbescheid, unterschreiben die meisten von ihnen den Brief, was eine Sammelabschiebung mit bekanntgegebenem Termin zur Folge hat.
Der Kosovo gilt im Gegensatz zu Serbien, Bosnien- Herzegowina, Mazedonien etc., die 2014 von der BRD als sogenannte Herkunftsstaaten ausgerufen worden sind, nach wie vor nicht als sicher. Dass Länder von weiß- westlich sozialisierten Politiker*innen aus Mitteleuropa willkürlich als sicher deklariert und Fluchtgründe in Frage gestellt werden, spiegelt nur allzu gut die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse der wirtschaftlichen Verwertbarkeit wider.
Nein, der Kosovo ist kein „sicherer Drittstaat“- warum sonst würden so viele Menschen fliehen? Es gibt nach wie vor politische Spannungen insbesondere im Nordkosovo, wo sich viele Menschen unsicher fühlen. Serbien betrachtet den Kosovo noch immer als Teil des serbischen Staatsgebiets und wird darin von China und Russland unterstützt. Wer da Menschen in Not, Armut und Diskriminierung (vgl. Pro Asyl) unterstellt, keinen Grund zur Flucht zu haben, reiht sich ein in die europäischen (und weltweiten) Herrschaftsverhältnisse, die über Leben und Tod richten als sei dies ein Spiel.
Die Menschen aus dem Kosovo, die in Deutschland Asyl beantragen, werden ohne Transfer in kommunale Unterbringungen auf direktem Wege abgeschoben. Nur allzu gut ist die Wut, die diese Menschen umtreibt, nachzuvollziehen. Während sie versuchen gehört zu werden, wird ihnen die Stimme genommen und durch Politiker*innen – so beispielsweise Niedersachsens Innenminister Pistorius – übertönt: Es wird von einem Paradigmenwechsel hin zu einer „humaneren Flüchtlingspolitik“ geredet, mit der eine „vernünftigere und menschenwürdigere“ Abschiebepraxis einhergehen soll – z.B durch den Verzicht auf Nachtabschiebungen (vgl. taz, 03/ 2014). Von Abschiebungen und Menschenwürde in einem Zusammenhang zu sprechen ist schon ein Paradoxon an sich, jedoch die genannten Versprechen noch nicht einmal umzusetzen ist nichts anderes als Heuchelei!
Wie kann die EU Friedensnobelpreisträgerin sein, wenn sie mitverantwortlich für tausende von Toten im Mittelmeer ist? Schweigeminuten machen sie zumindest nicht zur Heldin und helfen erst recht nicht denjenigen, die auf der Flucht in Seenot geraten oder denjenigen, die ihre Flucht noch antreten werden. Und auch die Zerstörung von sogenannten „Schlepper“booten bevor sie die Nordafrikanische Küste verlassen (siehe 10-Punkte- Plan der EU) ist so absurd, dass einer*m das Lachen im Hals stecken bleibt!
Fluchthelfer*innen, sprich denjenigen, die Menschen unterstützen vom Recht auf Asyl („Politisch Verfolgte genießen einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Asyl“ ) gemäß Art. 16 a des GG Gebrauch zu machen, zu kriminalisieren und ihnen die Schuld für die Mittelmeerkatastrophen in die Schuhe zu schieben, verdeutlicht die Verantwortungsentziehung der EU. Sie rechtfertigt so den Ausbau und die Subvention brutaler Frontex- Strukturen sowie das Abschaffen lebensrettender Maßnahmen wie das italienische Seenotsrettungsprogramm Mare Nostrum, das den sog. „Schleppern“ vermeintlich in die Hände spielen würde.
Das ist fahrlässige Tötung bzw. unterlassene Hilfeleistung und gehört angeklagt!
Egal, ob Kosovo, Syrien, Eritrea oder sonst woher- es geht um Menschen. Jede Einzelperson zählt – und zwar unabhängig von ihrer (wirtschaftlichen) Leistung in diesem brutalen, zerstörerischen kapitalistischen System! Geflüchtete sind keine Kriminellen, sondern Menschen wie wir alle!
Zurück zum Lager Bramsche- Hesepe: Was also hat sich verbessert? Nichts. Menschenverachtende Lebensbedingungen und die Abschiebepolitik bleibt gleich und macht die betroffenen Menschen krank. Das Wort „Willkommenskultur“, das im vergangenen Jahr so groß geschrieben wurde, sollte in Deutschland vor der Benutzung definitiv nochmal kritisch hinterfragt werden.
Quellen:
http://www.bpb.de/internationales/weltweit/menschenrechte/38729/festung-europa