Der Leiter der Bramscher Aufnahmeeinrichtung, Konrad Bramm, hat am vergangenen Samstag in der “Neuen Osnabrücker Zeitung” ein Interview über die aktuelle Flüchtlingsaufnahme gegeben. Darin behauptet Herr Bramm:
- Es gäbe einen “Ansturm” von Asylsuchenden auf Deutschland.
- Dies sei Folge der Entscheidung des BVerfG, Flüchtlingen statt 40 € nun 134 € auszuzahlen.
- Für Schlepper müssten die Betroffenen bis zu 12.000 € zahlen und daher illegal arbeiten.
- Es müssten Notbetten und Container aufgebaut werden.
Hierzu erklärt der Vorsitzende des Flüchtlingsrats Niedersachsen, Norbert Grehl-Schmitt:
„Die Äußerungen von Herrn Bramm sind ein Spiel auf der Klaviatur der Volksverdummung. Es wird ein Notstand in suggestiver Verbindung mit Gesetzesverstößen beschrieben, der objektiv nicht besteht. Herr Bramm wird sich erinnern, dass zu Anfang der 90er Jahre das Lager eine Aufnahmekapazität von bis zu 3.500 Menschen hatte. Es stellt sich die Frage, ob Herr Bramm hier in Eigeninitiative oder im Einvernehmen mit dem Innenministerium gehandelt hat. Trifft letzteres zu, ist klar, in welche Richtung die Landesregierung ihren Wahlkampf führen und in Zukunft regieren will: Die fahrlässige Herbeiführung eines „Unterbringungsnotstandes“ erinnert an frühere Inszenierungen eines so genannten ‚Flüchtlingsproblems’“.
Erst vor wenigen Tagen haben wir anlässlich des 20. Jahrestags der Pogrome von Rostock daran erinnert, dass der Nährboden für rassistische Gewalt bereits in der Mitte der Gesellschaft entsteht, nämlich dann, wenn Parteien und Regierungen mit Halbwahrheiten und Verdrehungen die ideologische Handlungsgrundlage für gewaltbereite Horden liefern. Politik und Regierung sollten daraus gelernt haben. Eine erneute Kampagne gegen Flüchtlinge – und nicht anders ist das Interview zu deuten – konterkariert jedes Bemühen, es besser zu machen.
In der Sache ist folgendes festzustellen:
Im Jahr 2011 flohen 45.741 Flüchtlinge nach Deutschland, von Januar bis August 2012 waren es bislang 33.284. Gemessen an den Flüchtlingszahlen früherer Jahre (1992: 438.000) sind die Flüchtlingszahlen nach wie vor sehr niedrig. Auch im Vergleich zur Gesamtzuwanderung (2011: 958.000 Menschen) fällt die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland mit unter 5% kaum ins Gewicht. Die Zahl der nach Deutschland geflohenen Asylsuchenden ist im Monat August gegenüber dem Juli um bundesweit 741 Personen (16,5%) gestiegen. Es waren in Niedersachsen im August also 70 Personen mehr unterzubringen als im Juli. Insgesamt ist für das Jahr 2012 eine höhere Flüchtlingszahl zu erwarten als 2011. Die moderate Steigerung der Flüchtlingszahlen als “Ansturm” zu klassifizieren und einen Notstand herbeizureden, ist eine falsche Behauptung.
Abstrus ist die Erklärung der gestiegenen Flüchtlingszahlen mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Flüchtlingen 134 Euro monatlich (statt bislang 40,90 €) in bar auszuzahlen. Kein Flüchtling verlässt ohne Not seine Heimat, weil er ein Taschengeld in Höhe von 134 Euro erhält. Unbestritten ist, dass die Zahl von Asylsuchenden aus Serbien und Mazedonien seit Einführung der Visafreiheit gestiegen ist. Die Ursache für die Flucht von Roma aus Serbien und Mazedonien ist jedoch kein suggestiv unterstellter „Sozialtourismus“, sondern lässt sich mit den katastrophalen Lebensbedingungen der Roma in ihren Ländern erklären (s. Recherchen des Flüchtlingsrats). Aber auch hier ist der unterstellte Ansturm eine falsche Behauptung: Die Zahl der Flüchtlinge aus Serbien war Ende des Jahres 2011 sehr viel höher als derzeit.
Nicht neu ist die Behauptung, Flüchtlinge müssten in Deutschland illegal arbeiten, um Fluchthelfer zu bezahlen. Glauben wir Berichten von Flüchtlingen, ist die Fluchthilfe in der Regel vorab und in bar zu zahlen. Unerwähnt bleibt aber, dass Flüchtlinge vor dem Hintergrund der menschenunwürdigen Leistungen für Asylsuchende (40% unter Hartz IV) zumindest bis Juli 2012 begehrte Subjekte von Unternehmen gewesen sein könnten, die die Notlage dieser Menschen ausgenutzt und Asylsuchende ausgebeutet haben. Es stellt sich hier die Frage, über welche Informationen Bramm verfügt, die belegen, dass Ausbeutung und Menschenhandel im Umfeld seines Arbeitsplatzes offenbar „üblich“ sind und was er konkret zur Sanktionierung dieser strafbaren Aktivitäten von Unternehmen unternommen hat.
Die Landesregierung hat die Kostenerstattung an Kommunen zur Unterbringung von Flüchtlingen mit einer politischen Begründung gedeckelt. Sie leistet sich ein teures – auch schon vom Landesrechnungshof moniertes – Aufnahmesystem, um die weitgehende Kontrolle über Asylsuchende zu behalten. Mit den öffentlichen Äußerungen vermeint man zu glauben, dass die Landesregierung bereits bei leicht steigenden Asylzahlen in ein hausgemachtes Chaos versinkt. Wenn in Aufnahmeeinrichtungen Flüchtlinge seit mehr als zwei Jahren untergebracht sind, muss es nicht verwundern, dass Kapazitäten fehlen. Der Flüchtlingsrat fordert die Landesbehörden auf, ihre Arbeit zu tun und eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen pragmatisch und schnell zu gewährleisten. Nach spätestens sechs Wochen sollten Flüchtlinge auf Kommunen verteilt werden. Die Kommunen sind aufgefordert, die Flüchtlingsaufnahme als Daueraufgabe zu begreifen und Konzepte zu entwickeln, die eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge zum Ziel haben.
gez. Norbert Grehl-Schmitt
Vorsitzender