Was tun bei Racial Profiling und rassistischer Polizeigewalt?
von: anonym (die schreibende Person ist weiblich sozialisiert, weiß positioniert und macht keine Rassismuserfahrungen, sie schreibt aus der aktivistischen Perspektive einer rassismuskritischen Beobachterin und als Sozialarbeiterin, nicht als Betroffener oder Juristin)
Die Sonne scheint und viele Personen halten sich tagsüber und am Abend wieder im Schlossgarten, auf der Wiese vor der Mensa oder auf der versiegelten Fläche hinter dem Schloss auf. Gruppen von Personen spielen Fussball, trinken Limo und Bier, lesen Texte für Seminare oder warten auf die nächste Vorlesung. Hier treffen Studierende und andere (junge) Osnabrückerinnen aufeinander – denn der Schloga ist eine der wenigen zentralen Grünflächen der Stadt. Während der Ort bereits seit Jahren regelmäßig von der Polizei kontrolliert wird, fällt gerade jetzt die Polizeipräsenz besonders auf: Als hätten die Streifen nichts anderes zu tun, umkreisen sie – zum Teil im 10 Minuten Takt – die Rasenfläche und lassen ihre Blicke über die anwesenden Personengruppen schweifen. In den vergangenen Jahren habe ich mich während meiner Studierendenzeit häufig im Schloss- garten aufgehalten und dabei mehrere Situationen beobachtet, in denen Personen von eben diesen patrouillierenden Beamtinnen angehalten, kontrolliert, durchsucht und schikaniert wurden. „Überraschenderweise“ waren diese Personen mehrheitlich Schwarze Männer bzw. von mir männlich gelesene Menschen. Ich habe in der gesamten Zeit quasi keine Kontrolle weißer Personen erlebt (Ausnahmen gab es bei wohnungslosen Personen), Schwarze Freundinnen und Ratsuchende berichten dagegen von unangenehmen, beängstigenden bis hin zu gefährlichen Zusammentreffen mit der Polizei im Schlossgarten. Was ist da los? Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt Racial Profiling beschreibt eine Praxis, bei der Zuschreibungen wie die ethnische oder nationale Herkunft oder phänotypische Merkmale als Grundlage für polizeiliches Handeln genutzt werden. Vielleicht hast du schon einmal erlebt, dass Du selbst oder andere Personen nur aufgrund ihres Äußeren im Zug kontrolliert oder am Bahnhof zur Identitätsfeststellung herausgezogen wurden. Und das nur, weil Polizistinnen Dich oder andere als nicht „Deutsch“ wahrgenommen haben. Gerade am Bahnhof wird die Praxis mit dem Vorwand der Kontrolle „unerlaubter Einreise“ legitimiert. An anderen Orten argumentiert die Polizei z.B. mit der Kontrolle von Drogenkonsum bzw. -handel oder der Gefahrenabwehr an sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten (s.u.). Offiziell ist Racial Profiling als Form der Diskriminierung verboten.
Racial Profiling beschränkt sich nicht nur auf die Auswahl Betroffener für Ausweiskontrollen oder Durchsuchungen, sondern umfasst auch die möglichen gewaltvollen und langfristigen Folgen polizeilicher Praktiken. Die rassistische Praxis hört also nicht bei selektiven Kontrollen auf, sondern kann auch mit Polizeigewalt sowie weiteren Diskriminierungserfahrungen durch Justiz und Strafverfolgungsbehörden einhergehen.
Was darf die Polizei?
Im folgenden Abschnitt werde ich einige Artikel und Absätze aus dem Niedersächsischen Polizeigesetz benennen, damit Du dort auch selbst nachlesen kannst. Wenn Du direkt zu Handlungsempfehlungen springen möchtest, lies unten weiter.
Eine Identitätsfeststellung ist eigentlich nur zur Gefahrenabwehr, Strafverfolgung oder aufgrund einer erwarteten Gefährdung an definierten Orten zulässig. Im Niedersächsischen Polizeigesetz (NPOG) gibt es jedoch – wie in jedem Bundesland – Ausnahmen. Halten sich Personen an sogenannten gefährlichen oder kriminalitätsbelasteten Orten auf oder geraten an einen Kontrollpunkt, darf ihre Identität auch anhaltslos (also ohne Verdacht auf eine begangene oder potentielle Straftat) festgestellt werden. Ob ein Ort dazugehört, ist eine polizeiinterne Information und nicht überprüfbar. In Niedersachsen sind die Eigenschaften dieser Orte im NPOG §13 Abs. 1 Nr. 2 beschrieben. Laut §22 Abs. 1 Nr. 4 dürfen Personen und die von ihnen mitgeführten Sachen an diesen Orten auch durchsucht werden. Nach einer Durchsuchung der Sachen darf die Person eine Bescheinigung der Durchsuchung und den Grund dafür verlangen (§23 Abs. 2 NPOG).
Besteht keine akute Gefahr und kein Hinweis auf Planung einer Straftat und ist der Ort nicht als besonderer Ort eingeordnet, ist eine Kontrolle nicht zulässig, Personen müssen eine Kontrolle oder Durchsuchung nicht zulassen. Dies sollte klar geäußert werden (mit dem Satz: ich stimme dieser Maßnahme nicht zu!). Wird einer Kontrolle zugestimmt oder kein Widerspruch geäußert, gilt dies im Sinne der Polizei als freiwillige Kontrolle.
Der Schloga – ein gefährlicher Ort?
Als gefährliche bzw. kriminalitätsbelastete Orte (kbO) gekennzeichnete Räume statten die Polizei mit besonderen Befugnissen aus. Die Praktiken im Schlossgarten werfen die Frage auf, ob der Ort von der Polizei als gefährlicher Ort/ kbO geführt wird. Bestätigt ist, dass die Polizei immer wieder Schwerpunktkontrollen durchführt, da der Schlossgarten als Umschlagplatz für Drogen gilt (NOZ 30.07.2020/ Presseportal der Polizei). Weitere Orte für Schwerpunktkontrollen in Osnabrück sind der Bahnhof, der Raiffeisenplatz und die Johannisstraße – alles Orte, an denen sich nicht nur viele arme und migrantisierte Menschen, sondern auch die Drogennutzer*innenszene und wohnungslose Personen aufhalten. Ob der Schlossgarten auch als kbO gelistet ist, ist unklar.
Handlungsempfehlungen
Die nachfolgenden Handlungsempfehlungen basieren auf Erfahrungen aus Beratungsstellen und den folgenden Quellen: gofilmthepolice.de (Leitfaden zum Filmen von Polizeigewalt), kop-berlin.de (Schritte gegen Polizeigewalt) und dem Flyer Rassistische Polizeikontrolle von schöner leben Göttingen. Danke für eure wichtige Arbeit! [2]
Was tun als betroffene Person?
Es ist okay Angst zu haben oder wütend zu sein. Du befindest Dich in einer sehr verletzlichen Situation. Vielleicht passiert es Dir nicht zum ersten Mal. Vielleicht empfindest Du Scham, weil Du (schon wieder) kontrolliert oder durchsucht wirst. Es ist nicht Deine Schuld!
Versuch ruhig zu bleiben – das kann sehr schwierig sein. Wenn möglich, ruf Deinen Freundinnen zu, dass sie bei Dir bleiben sollen. Vielleicht entdeckst Du eine Person unter den Umstehenden, der Du vertrauen kannst. Sprich sie direkt an (Hey, Du mit der grauen Kappe, kannst Du zuschauen?). Es ist hilfreich, Zeuginnen zu haben und in dieser Situation nicht allein zu sein.
Du darfst nachfragen, wieso und mit welcher Rechtsgrundlage die Maßnahme durchgeführt wird. Gib klar und deutlich an, dass Du nicht einverstanden bist (ich bin mit der Kontrolle/ Durchsuchung nicht einverstanden!). Frage nach den Namen und der Dienststelle der Beteiligten. In Niedersachsen haben Polizistinnen keine Dienstnummern. Du darfst äußern, dass Du die Kontrolle als rassistisch empfindest – Polizistinnen als Rassistin zu bezeichnen zählt allerdings als strafbare Beleidigung (s.u.). In der Vergangenheit haben es Betroffene geschafft, ein Video von der Situation aufzunehmen. Manchmal kann das die Maßnahme aber auch eskalieren. Wenn die Situation vorbei ist, nimm Dir möglichst einen Moment Zeit. Schreibe ein Protokoll der Erlebnisse oder nimm Dir selbst eine Sprachnachricht auf. Benenne Details wie Namen oder Dienststelle, Aussehen und Verhalten sowie Aussagen der anwesenden Polizistinnen. Schreibe das Datum und den Ort des Geschehens und auch die Uhrzeit auf. Notiere Dir unbedingt die Nummer von Zeuginnen. Sollte die Situation eskaliert sein, dokumentiere alle Verletzungen und suche sofort ein Krankenhaus oder Ärztinnen Deines Vertrauens auf.
Triff Dich nach dem Vorfall wenn möglich mit Freundinnen oder Unterstützerinnen und bleib nicht alleine. Lass Dich, wenn Du die Kraft hast, beraten. In Osnabrück kannst Du Dich zum Beispiel an die antirassistische Gruppe NoLager oder die Betroffenenberatung wenden (s.u.).
Wenn Du in Gewahrsam genommen wirst, ruf Umstehenden ggf. Deinen Namen zu, damit sie Dich unterstützen, Dir anwaltliche Hilfe organisieren oder Dich auf der Wache abholen können. Mache keine Aussage.
Was tun als Beobachterin? Es ist okay, sich unwohl zu fühlen und Angst zu haben. Such Dir Unterstützung, wenn es möglich ist. Sei Dir im Klaren darüber, dass die kontrollierte Person (aktuell) in einer prekäreren Situation steckt als Du. Wenn Du Dich nicht traust, Dich der Situation zu nähern oder selbst Rassismus- betroffen bist, beobachte sie z.B. von weitem oder sprich die Person nach der Kontrolle an. Wenn es möglich ist, frage die Person, ob Du unterstützen kannst bzw. teile ihr mit, dass Du die Maßnahme beobachten wirst. Mach deutlich, dass Du solidarisch mit ihr bist. Wenn Du Dich nicht traust, die Person anzusprechen, gib ihr ein Handzeichen bzw. frag per Handzeichen nach, ob es der Person gerade gut geht (Daumen hoch/ runter). Für die Person kann es sehr unangenehm sein, dass Du zuschaust. Versuche ruhig und gefasst zu bleiben, eine Eskalation und nervöse Polizistinnen können für die betroffene Person gefährlich werden.
Frage die Polizist*innen ruhig nach ihren Dienststellen und Namen und schreibe sie auf. Auf Nachfrage müssen sie Dir diese Informationen geben. Dokumentiere die Situation bestmöglich, mach Dir Notizen und fertige im Nachhinein ein Gedächtnisprotokoll an.
Fordert die Polizei Dich auf zu gehen, kannst Du widersprechen, einem Platzverweis (§ 17 NPOG) musst Du jedoch Folge leisten. Agiere ausschließlich verbal und versuche ruhig zu bleiben. Frage nach dem Grund und den genauen Bereich sowie die Länge des Platzverweises und nach einer schriftlichen Bescheinigung (die kann die Polizei auch im Nachhinein erstellen und Dir zusenden). Verboten ist es, die Arbeit der Polizei zu stören oder zu behindern, halte also immer einige Meter Abstand.
Frag die betroffenen Person nach der Kontrolle, was sie jetzt braucht und weise sie auf die untenstehenden Unterstützungsangebote hin. Sollte die Person verletzt sein, weise sie darauf hin, dass es wichtig ist, Verletzungen medizinisch versorgen und dokumentieren zu lassen.
Filmen und Fotografieren
Prinzipiell darf man einen Einsatz der Polizei an einem öffentlich zugänglichen Ort filmen (Bild- und Tonaufnahmen anfertigen). Das Strafgesetzbuches verbietet jedoch Tonaufnahmen von „nicht öffentlich gesprochenem Wort“ (§ 201 StGB). Der Gesetzestext wird unterschiedlich ausgelegt, wenn die Kontrolle leicht einsehbar an einem öffentlichen Ort passiert. Wenn es möglich ist, beim Vorbeigehen die Worte der Polizei zu hören, kann das gesprochene Wort als öffentlich gewertet werden. Das Gesetz kann durch die Sicherheitsbehörden jedoch als Grundlage genommen werden, um Personen wegzuschicken, ihnen Handys wegzunehmen oder sie zu verklagen. Also: Abstand halten und trotzdem filmen, die Polizei auf die Öffentlichkeit der Maßnahme hinweisen. Gegebenenfalls versuchen sie Dich einzuschüchtern. Da die Veröffentlichung des Materials ggf. strafbar ist, könnten sie versuchen, deine Personalien zu erhalten.
Wenn sie versuchen Dich zu zwingen, das Video zu löschen oder es eigenhändig löschen, könnte das (wenn sich die Kontrolle als nicht berechtigt herausstellt oder in Gewalt eskaliert) sogar Vernichtung von Beweismaterial sein. Du kannst beim Filmen sagen: „Ich plane nicht zu veröffentlichen, ich vermute rechtswidriges Verhalten und filme für die Staatsanwaltschaft“. Setzen sie Dich weiter unter Druck, drohe mit einem Anruf bei Anwältinnen. Dein Handy kann unter dem Vorwand beschlagnahmt werden, dass es Straftaten zeigt (sollten Personen sich widerständig gezeigt haben oder die Beamtinnen beleidigt haben). Widersprich der Maßnahme, schalte Dein Handy aus, gib keine Zugangsdaten heraus, verlange ein Protokoll.
Auf der Kampagnenseite go film the police [2] findest Du weitere Tipps zum Umgang mit Aufnahmen, Speichern, Versenden, Veröffentlichen von Videos und zum Verschlüsseln von Handys.
Anzeigen durch die Polizei
Es ist leider gängige Praxis, dass die Polizei Menschen anzeigt, die ihre Handlungen hinterfragen und als rassistisch bezeichnen. Als Beleidigung gilt die Aussage „Rassistin“, allerdings nicht die geäußerte Vermutung, dass die Praxis der handelnden Polizistinnen rassistisch sei. Achte also auf Deine Wortwahl und beweise diese bestenfalls durch die Anwesenheit von Zeug*innen oder mit Videomaterial. Wenn Du die Polizei anzeigst, rechne mit einer Gegenanzeige (z.B. wegen Widerstand, Verleumdung, Beleidigung etc.). Ein Rechtsstreit mit der Polizei ist immer extrem belastend. Wenn Du Dich in dieser Situation befindet, such Dir so schnell wie möglich solidarische Beratung und rechtlichen Beistand. Finanziell kannst Du durch spezielle Rechtshilfefonds unterstützt werden. Du bist nicht allein!
Unterstützung finden
Beratung
Die Betroffenenberatung Niedersachsen mit einem Regionalbüro in Osnabrück berät Betroffene, Angehörige und Zeuginnen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Wenn Du rassistische Polizeigewalt erlebt hast oder Zeugin wurdest und jemanden zum Reden brauchst oder Dich über weitere (rechtliche) Schritte informieren möchtest, dann vereinbare einen Termin (www.betroffenenberatung.de)
Soziale und Politische Unterstützung
- Sprich und vernetze Dich mit anderen Betroffenen, zum Beispiel über Social Media oder mit der Hilfe von Beratungsstellen oder Initiativen
- Melde Dich bei der antirassistischen Gruppe NoLager, um Dich politisch zu organisieren oder mit Betroffenen auszutauschen
- Melde Dich beim AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss der Universität), wenn Du über weitere Vernetzungsmöglichkeiten mit Studierenden oder Beschwerdemöglichkeiten an der Universität informieren möchtest
- Schau nach einer Ortsgruppe der Roten Hilfe, wenn Du Repressionen (z.B. Anzeigen oder Gegenanzeigen durch die Polizei) erlebst
- Schreib KOP an und frage, welche Schritte Du gehen solltest Information
Weitere Informationen findest Du zum Beispiel bei KOP (Kampagne für Opfer von rassistischer Polizeigewalt) online oder auf der Webseite gofilmthepolice.de sowie unter polizei-gewalt.com
Quellen
[1] https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/polizeikontrolle-im-osnabruecker-schlossgarten- diensthunde-finden-drogen-depots-20232997
[2] https://www.gofilmthepolice.de/ und https://kop-berlin.de/was-darf-die-polizei-was-darf-sie-nicht