Redebeitrag vom 02.09.24

Anlässlich der Wahlen in Thüringen und Sachsen am 01.09.2024 fand am 02.09.2024 eine Demonstration der Kampagne „Den Rechten die Räume nehmen“ in Osnabrück statt. Zu diesem Anlass haben auch wir einen Redebeitrag verfasst, den ihr im Follgenden lesen könnt.

Ja, wir leben in düsteren Zeiten, und die Zukunft wird nicht weniger dunkel.
Das liegt aber nicht daran, dass die AfD in den verschiedenen Parlamenten immer stärker wird. Das ist nur ein Symptom!

Die Ursache liegt in der Stimmung in der Gesellschaft, denn schließlich wird die AfD ja von Menschen aus unserer Gesellschaft gewählt. Und das ist eben nicht abzutun als Protestwahl, vielmehr haben ein Drittel der AfD-Wähler:innen ein geschlossen rechtsextremes Weltbild.
Die letzte „Mitte-Studie“ über das Gedankengut der sog. Mitte der Gesellschaft ergab, dass über die Hälfte der Deutschen nicht mehr an das Funktionieren der Demokratie glaubt, stattdessen wird wieder eine starke Hand verlangt. Völkisch-autoritär verortet sich jeder dritte. Auch jeder dritte meint, Flüchtlinge kämen nur nach Deutschland, um das Sozialsystem auszunutzen. Jeder vierte unterstellt jüdischen Menschen, heute ihren Vorteil aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus ziehen zu wollen. Und über die Hälfte der Deutschen befürworten eine Rückbesinnung auf das Nationale, fordern eine Schließung nach außen und erachten vermeintlich deutsche Werte, Tugenden und Pflichten als bindend.

Soweit die Zahlen. Aber eigentlich brauchen wir die Zahlen nicht. People on the Move, die irgendwie in Deutschland angekommen sind, erleben den gesellschaftlichen und strukturellen Rassismus täglich auf den Straßen oder in den Behörden unseres Landes, ob bei der Wohnungs- oder Jobsuche, demnächst wieder beim Einkaufen mit der Bezahlkarte, durch rassistische Kontrollen durch die Polizei, durch Pöbeleien auf der Straße, und auch durch gewaltsame Übergriffe, nicht nur von gestandenen Nazis. In unserer Gesellschaft, im Hier und Jetzt, müssen People of Color auf unseren Straßen Angst haben, vor uns Deutschen.
Die Parteien, die jetzt befürchten, dass die AfD sie überrunden könnte, tragen einiges zu dieser rassistischen und antisemitischen Stimmung bei. Die sog. „Brandmauer nach rechts“ ist nur symbolisch, tatsächlich bröckelt sie seit Längerem.

Ja, wenn man fragt, dann sind alle gegen Nazis, das haben auch die großen Kundgebungen gezeigt, die wie ein Strohfeuer nach dem Potsdamer Treffen über unser Land gegangen sind. Alle politischen Parteien (außer die AfD natürlich) haben dort Hand in Hand gestanden, mit nur einer Parole: Gegen Nazis. Dann sind sie zurückgekehrt zu ihrer eigenen Politik, die immer populistischer wird.

Leider erleben wir da jetzt einen Höhepunkt.

Drei Tote und acht zum Teil sehr schwer verletzte Menschen – wir trauern um die Opfer von Solingen. Dass ein „Festival der Vielfalt“, dies war das Motto des Solinger Stadtfestes, zum Ziel eines islamistischen Attentats wurde, erschüttert uns alle, die wir für eine offene Gesellschaft einstehen. Aber, wir erinnern daran: Flüchtlinge suchen oft genau vor dieser islamistischen Gewalt Schutz, der wir in Solingen begegnet sind.

Wer vor Terror, Gewalt und Verfolgung flieht, braucht Schutz. Zurzeit wird jedoch fast einhellig von allen Parteien gefordert, dass keine Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien mehr aufgenommen werden sollen. Bundesdeutsche Grenzen sollen geschlossen und Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien forciert werden. Der „Jetzt reicht es“-Vorschlag des CDU- Parteichefs Friedrich Merz ist nicht mehr einen Millimeter von den Forderungen der AfD entfernt, Er ist zutiefst unmenschlich und spaltet unsere Gesellschaft.

Schon Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde das Recht auf Asyl extrem eingeschränkt. Damals tobte der rassistische Mob und zündete Flüchtlingsunterkünfte an, auch hier in Osnabrück. Tote wurden wissentlich in Kauf genommen. „Die Deutschen“ als Kollektiv wurden als angeblich überfordert erklärt, angesichts angeblicher „Überflutung“ durch Migrant:innen. Also wurden rechte politische Forderungen, die längst gesellschaftsfähig waren, übernommen und nicht die Nazis flogen raus, sondern die Flüchtlinge. Heute stehen wir vor einer ähnlichen Situation. Die Reste des Asylrechts wurden in derselben Sitzung des Bundestages fast ganz abgeschafft, in der über den Rechtsextremismus der AfD diskutiert wurde. Das „Rückführungserleichterungsgesetz“, das beschlossen wurde, dient einzig dazu, mehr Menschen ausweisen zu können.

Dabei wird es weltweit immer mehr Flüchtlinge geben, u.a. durch den Klimawandel und durch zunehmende Konflikte. Wohlgemerkt, ein Klimawandel der hauptsächlich von den reichen Staaten verursacht worden ist, und Konflikte, die mit Waffen auch aus den deutschen Schmieden geführt werden.

Wir leben in einem sehr reichen Land, aber auch hier ist der Wohlstand sehr ungerecht verteilt. Menschen am Rand der Gesellschaft haben viele Probleme, sie werden ausgegrenzt vom Grundrecht auf Wohnen, von Gleichberechtigter Bildung, von fairen Löhnen, von gesellschaftlicher Teilhabe. Aber Vorsicht, es darf nicht sein, dass die ausgegrenzten Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Deutschland – und eigentlich die ganze Welt – ist reich genug, dass alle Menschen bei einer gerechten Verteilung in Wohlstand leben könnten.
Das Ausspielen der prekären Gruppen findet längst auch schon bei unseren Parteien, die sich gerne in der Mitte verorten, statt. Z.B. mit Mindestlohn Beschäftigte gegen Bezieher:innen von Bürgergeld oder eben Flüchtlinge als Bezieher:innen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Wir leben in ganz gefährlichen Zeiten, das „Nie wieder“ wurde bisher nicht wirklich eingelöst, die AfD ist die Spitze des Eisbergs, darunter ist eine breite Basis an rechtsextremer Stimmung.
Ich möchte uns alle aufrufen: Geht in Kontakt mit People on the Move, seid solidarisch, befreit euch von eurem eigenen Rassismus, denn wir sind alle nicht frei davon, schließlich sind wir in dieser Gesellschaft groß geworden.

Wir begrüßen besonders alle Geflüchteten und Migrant:innen auf dieser Demo, lasst uns gemeinsam gegen den strukturellen und gesellschaftlichen Rassismus vorgehen. Eine weitere Notwendigkeit dafür wird die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete sein, gemeinsam können wir das System unterhöhlen.

Für eine offene Gesellschaft
Seid solidarisch
Passt auf bei rassistischen Polizeikontrollen
Helft Leuten, die von Abschiebung bedroht sind, nehmt sie mit nach Hause
Für freies Fluten