Archiv für den Monat: Oktober 2020

Redebeitrag von der Demo „Solidarität gegen rassistische Abschottungspolitik“

Normalerweise beginnen solche Redebeiträge mit einer Aufzählung der Gründe, warum wir uns hier heute versammelt haben. Und davon gibt es wahrlich mehr als genügend. Gleichzeitig fühlt es sich komisch an, diese immer wieder zu wiederholen – auch, weil sie mittlerweile echt jedem Menschen bekannt sein sollten – aber vor allem, weil dies nicht die erste Demo dieser Art ist, sich aber an der menschenverachtenden Abschottungspolitik der EU und ganz vorn dabei Deutschlands eben nichts ändert – bzw. schon, aber seit Jahren nur zum Schlimmeren.
Nicht erst seit dem Brand von Moria im September wissen wir, dass die Lebensbedingungen an den europäischen Außengrenzen katastrophal sind. Das wussten wir schon, als Erdogan den Deal mit der EU platzen ließ – aber auch schon, als einige Zeit zuvor die EU eben jenen widerlichen Deal mit der türkischen Rechtsaußen-Regierung schloss, damit diese „uns Europäer*innen“ die unliebsamen Geflüchteten vom Hals halte – mit allen Mitteln die ihr zur Verfügung standen – einer vermeintlich „demokratischen Wertegemeinschaft“ namens Europäische Union aber eben nicht. Das Prinzip Guantanamo in „light“, sozusagen.
Wir wussten um die fürchterlichen Umstände bereits zu Beginn der sogenannten Krise, als sich mehrfach große Ansammlungen von verzweifelten Menschen bildeten – sowohl an Europas Grenzen – 2015 in Idomeni – als auch innerhalb der EU – 2015/16 im sogenannten „Jungle“ in Calais, an der Einfahrt zum Eurotunnel.
Kurz: Wir wissen schon lange genug Bescheid. Wir wissen, dass die EU ertrunkene Menschen im Mittelmeer ein paar hundert neuen Asylanträgen vorzieht. Wir wissen, dass staatliche Seenotrettung nicht mehr existiert, während die private Seenotrettung öffentlich verunglimpft und kriminalisiert wird. Obwohl hier Bürger*innen schlicht mehr Menschlichkeit beweisen, als sämtliche Regierung europäischer Staaten.
Wir wissen, das Politiker*innen Abschiebungen fetischisieren und öffentlich zelebrieren wobei ihnen die menschlichen Kosequenzen komplett egal sind. Und wir wissen: Wenn sich Seeleute an die Regeln ihres Arbeitsbereichs halten und Schiffbrüchige retten, müssen diese nun mit Schikane und indirekten bis direkten Strafen rechnen.
Wir haben uns also sehr gut an das gewöhnt, was teils als „Rechtsruck“ oder auch als „Diskursverschiebung“ bezeichnet wird. Wir reden uns ein, Merkel hätte mit ihrem viel-zitierten „Wir schaffen das“ wirklich eine humane Lösung gemeint. Stattdessen wurde das deutsche Asylrecht (seit Jahrzehnten) nur verschärft und weiter verschärft, sodass es heute diesen Namen nicht mehr verdient. Es ist eine Sammlung von Regelungen zur systematischen Schikane und psychischen Unterdrucksetzung von Geflüchteten, auf dass diese möglichst gleich wieder von selbst verschwinden mögen. Wobei diejenigen, die in Sammellagern ausharren, sich noch glücklich schätzen können im Vergleich zu denjenigen, die eben an den europäischen Außengrenzen faktisch zum (vor sich hin-) Vegetieren verurteilt sind.
Seit Corona hat sich die Situation durch Lockdowns von Camps und fehlende Möglichkeiten zur Einhaltung der Hygieneregeln für Menschen auf so engem Raum weiter verschärft. Nach dem Brand im Flüchtlingscamp Moria letzten Monat mussten die Geflüchteten ganz offiziell als Obdachlose leben, solange keine neue Unterbringung stattfand. Und selbst neu errichtete Camps auf Lesbos sind keine Besserung, sondern nur eine Verlagerung des alten Problems. So wird teilweise an den Orten, an denen die Menschen „untergebracht“ sind, von Soldat*innen noch nach Minen gesucht. Derzeit sind die Lager von Herbststürmen und Überschwemmungen heimgesucht, und danach droht auch schon der nahende Winter mit eisigen Nächten in Zelten und unter Plastikplanen.
Im neuen Moria stehen den dort untergebrachten Menschen kaum Duschen und Wasserstellen zur Verfügung. Kaum Desinfektionsmittel, kaum Seife sowieso keine Möglichkeit, Abstand zu halten! Und das in Zeiten von Corona! Wie können wir diese Situation anders verstehen, als dass die Behörden und die EU, die Politiker*innen generell, aktiv versuchen, die bereits katastrophale Situation weiter zu verschlimmern!
Das ist nicht nur ein Ignorieren der Situation der Geflüchteten, sondern ein aktives Unterlassen von Hilfeleistungen seitens der EU und ihrer Mitgliedsstaaten!
Griechische Regierungsmitglieder hatten bereits offen ausgesprochen, dass die unerträglichen Zustände im Lager Moria Geflüchtete abschrecken sollten. Der Minister für Wirtschaftsentwicklung und Investitionen und stellvertretende Vorsitzende der konservativen Nea Dimokratia (ND), Adonis Georgiadis, sagte Anfang März im griechischen Fernsehen: »Damit die Flüchtlingsboote nicht mehr kommen, müssen diejenigen, die auf die Boote steigen, aufhören, die Schmuggler für die Überfahrt zu ­bezahlen. Um dies zu gewährleisten, müssen sie von den bereits hierhin Gelangten erfahren, dass sie hier eine schlechte Zeit haben werden, dass wir sie einsperren und dass sie hier nicht tun können, was sie wollen.« Georgiadis betonte, die Unterbringung in den ­Lagern könne ein Leben lang andauern.
Dies ist die Realität: Demokratische Regierungen spekulieren auf das mentale sowie körperliche Brechen von tausenden von Menschen, deren einzige Straftat offenbar darin bestand, ihre Heimat verlassen zu haben – und nach Europa kommen zu wollen. Dazu sollen also Lager helfen. Soweit ist der Diskurs also schon nach Rechts verschoben! Ein Blick in die (deutsche) Geschichte zeigt jedoch: Sich von der extremen Rechten – sei es in Form der AfD, esoterischer Verschwörungstheoretiker*innen oder Rassist*innen im Staatsdienst – vorhertreiben zulassen, führt nicht zu deren Verschwinden. Im Gegenteil, die politische Rechte wird so seit Jahren staatlich gestärkt und gefördert.
Wir haben zu der heutigen Demo aufgerufen, ohne einen großen Ankündigungstext zu verfassen und wir haben heute eines der breitesten Bündnisse seit langem auf die Straße bekommen. Offenbar scheint der Titel „Gegen rassistische Abschottungspolitk“ schon zu reichen – er ist selbsterklärend. Diese Tatsache bedeutet aber auch, dass es eben nicht wenige gibt, die ebenso wie wir von No Lager keinen Bock mehr darauf haben, uns den gesellschaftlichen Diskurs von Nazis und Spinner*innen diktieren zu lassen. Unsere Schlussworte wollen wir daher jenen zuwenden, die noch nicht dem solidarischen und kämpferischen Ausverkauf zum Opfer gefallen sind:
Wir sind heute hier, weil tausende Geflüchtete in Moria und anderen Orten noch immer daran
gehindert werden, unter humanen Bedingungen zu leben!
Auch 5 Jahre nach dem „Sommer der Willkommenskultur“ und all der Fürchterlichkeiten seitdem, ist das noch immer ganz klar falsch und muss geändert werden.
Deswegen sagen wir heute erneut: „Wir haben Platz!“ Für uns ist klar: weder hier noch irgendwo anders – leave no one behind!
Wir zeigen uns solidarisch mit allen Geflüchteten in den griechischen Lagern und Lagern in anderen Ländern und den mutigen Menschen auf der Flucht übers Mittelmeer, mit den Hilfsorganisationen der zivilen Seenotrettung wie Sea Watch, Sea Eye oder Mare Liberum und wir danken denjenigen, die sich nicht trotz, sondern eben wegen der Corona-Krise solidarisch zeigen und sich aktiv gegen strukturellen Rassismus, kapitalistische Ausbeutung und weiße Vorherrschaft einsetzen.
2015, 2020, egal. Der alte Spruch gilt nach wie vor: Say it loud, say it clear. Refugees are welcome here!

Demo-Aufruf: Solidarität gegen rassistische Abschottungspolitik

plakat_moria
+++ NoLager Osnabrück, Fridays for Future OS, LiKos, EXIL e.V., Black Community Foundation, Omas gegen Rechts, kurdischer Kulturverein, antifaschistische Jugend OS und weitere rufen am 24.10. um 13:30 Uhr zu Demonstration auf +++
Solidarität gegen rassistische Abschottungspolitik
Die Situation auf den griechischen Inseln scheint sich nach dem Feuer im Camp Moria noch weiter zu verschlechtern. Die Geflüchteten werden in ein neues Camp Moria 2 gesperrt, welches noch weniger Sanitäranlagen, noch weniger Platz, noch weniger Freiheiten noch mehr Leid hervorbringt, als es vorher schon gab. Und die Lage auf den anderen griechischen Inseln ist nicht minder schlimm; auch dort hat es im Camp gebrannt. Während in ganz Europa hunderte einzelne Kommunen bereit sind dem unsäglichen Dublin Asylsystem eine Absage zu erteilen, auf eigene Faust Geflüchtete bei sich aufzumehmen und Solidarität zu zeigen, fällt die europäische Union ihren eigenen „Werten“ in den Rücken und bildet faktisch eine rassistische Abschiebeunion. Horst Seehofer verbietet einzelnen Ländern und Kommunen gar die selbstständige Aufnahme von Geflüchteten. Auch Osnabrück ist ein sogenannter „Sicherer Hafen“ und bereit weitere Geflüchtete aufzunehmen. Wir wollen das mit euch gemeinsam auf die Straße bringen und bekräftigen: #WirHabenPlatz! Holt endlich die Menschen aus den Elendslagern auf den griechischen Inseln, in Calais, auf dem Westbalkan und sonstwo! Sorgt dafür, dass so etwas gar nicht erst möglich gemacht wird! #EvictTheCamps
Am 24.10. treffen wir uns daher um 13:30 Uhr am Ledenhof in Osnabrück. Wir wollen unsere Solidarität gegenüber allen Geflüchteten zum Ausdruck bringen und unsere Wut der europäischen Politik entgegenschleudern. Kommt zahlreich. Tragt Masken und haltet stets den Mindestabstand ein!
#WirHabenPlatz #LeaveNoOneBehind #FightFortressEU #EvictTheCamps
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