Archiv für den Monat: Januar 2013

Brief an die Grüne Orts-/Kreisverbände Niedersachsen

Liebe Freundinnen und Freunde,
wir sind eine studentische Initiative, die sich seit Jahren in der Unterstützung von
MigrantInnen in der Landesaufnahmebehörde Bramsche-Hesepe engagiert.
Menschenwürde kennt ihrer Möglichkeit nach keine Grenzen, sie fehlt aber in der
Wirklichkeit hiesiger Migrationspolitik. Wir begrüßen daher Ihr folgendes Wahlversprechen:
„Wir Grüne wollen, dass Flüchtlinge nicht mehr unter katastrophalen Bedingungen in Massenunterkünften leben müssen, um dort auf die Entscheidung über ihre Anträge zu warten. Wir wollen, dass diese Unterkünfte sofort abgeschafft und Flüchtlinge in den Städten und Gemeinden dezentral untergebracht werden, so dass es ihnen möglich ist, soziale Kontakte zu knüpfen und sich in die Gesellschaft zu integrieren“
Grünes Wahlprogramm Niedersachsen: 2012/2013: S. 140).

Im Ziel einer Schließung der niedersächsischen Flüchtlingslager (Braunschweig,
Bramsche, Friedland) sind wir uns einig mit Filiz Polat, Ihrer migrationspolitischen
Sprecherin. Die engagierten Geflüchteten, in Bramsche-Hesepe wie bei den Protesten in
Berlin, erwarten von Ihnen als Grüne, dass Sie mit ihrem Wahlprogramm Ernst machen.
Wir bitten Sie die Schließung der Flüchtlingslager in Ihren Kreisverbänden und auf dem
Landesparteitag am 16. und 17. Februar 2013 in Hannover zu thematisieren. Wir sind
gespannt auf Ihre Entscheidungen und die Koalitionsverhandlungen mit der SPD.

Mit freundlichen Grüßen, NO LAGER Osnabrück

Brief als PDF-Datei

Protest gegen Flüchtlingslager bei Merkel-Auftritt am 16.01.2013 in der OsnabrückHalle

Pressemitteilung von NO LAGER Osnabrück „Flüchtlingslager abschaffen“

AktivistInnen protestieren während des Wahlkampfauftritts von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Stadthalle Osnabrück. Kaum hat Ministerpräsident David MacAllister seine Wahlkampfrede beendet, als auf der Empore Transparente entrollt werden. Passend zum christlichen Hintergrund der Union bekamen die Besucherinnen und Besucher zunächst einen Bibelspruch von Jesus aus dem Matthäusevangelium zu lesen: „Was ihr den Geringsten angetan habt, das habt ihr mir getan“, darunter die Forderung: „Flüchtlingslager abschaffen!“. Auf dem zweiten Transparent folgte ein Zitat von Papst Benedikt: „Auch Jesus war ein Flüchtling“.

Zwar dürfen Flüchtlinge in Niedersachsen nicht wählen, betroffen von der Landespolitik sind sie aber in besonderem Maße. Die Unterbringung von Asylsuchenden in Sammelunterkünften für hunderte von Menschen, die von den MigrantInnen als Lager bezeichnet werden, wurden bereits vor 10 Jahren von der SPD-Alleinregierung eingeführt. Auch unter CDU-FDP-Regierung hat sich an dem menschenunwürdigen Umgang mit Geflüchteten nichts geändert.

Seit Jahren protestieren Flüchtlinge gegen ihre Isolation in den abgelegenen und überbelegten Einrichtungen. Im Wahlkampf haben sich Linke und Grüne für die sofortige Schließung der niedersächsischen Flüchtlingslager (Bramsche-Hesepe, Braunschweig, Friedland) ausgesprochen, SPD und CDU schweigen sich hingegen aus.

Bis zum Ende der Veranstaltung wurden Transparente gezeigt, Flugblätter verteilt und es kam zu kurzen Wortwechseln zwischen der Bundeskanzlerin und AktivistInnen. Mit Rufen wie „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt“ wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Fluchtursachen weltweit in erster Linie von der Politik der Industrieländer verantwortet werden. Das Publikum reagierte erstaunlich entspannt, es kam sogar zu breitem Applaus und Beifallsbekundungen. Nach dem Ende von Merkels Auftritt konnten die Protestierenden unbehelligt von dannen ziehen.

Neujahrsbotschaft 2013 an alle Flüchtlinge und die Öffentlichkeit

[also available in English: 2013 New Year’s message to all refugees]

Wir, die Flüchtlinge vom Berliner Protestcamp auf dem Oranienplatz, senden diese Nachricht an alle Flüchtlinge und UnterstützerInnen in Deutschland, Europa und weltweit:

„Genug ist Genug! Es ist Zeit für Widerstand!“

Wir blicken zurück auf das Jahr 2012:
Nach langen Wegen und verzweigten Routen der Flucht, die von Leid und Ungewissheit geprägt waren, setzten wir unseren Fuß in dieses Land. Hier angekommen fanden wir uns in einer Realität von Ghettos wieder. Wir werden gezwungen in Lagern zu leben und wir werden wie Gefangene behandelt. Entscheidungen werden über unsere Köpfe hinweg gefällt und wir erhalten Befehle. Wir nennen es Lagerpflicht. Es mangelt an jeglicher Privatsphäre. Wir fühlen uns wie Objekte behandelt und als menschliche Wesen ignoriert. Wir werden jeder Selbstbestimmung beraubt. Medizinische Hilfe wird uns nur zum bloßen Überleben gewährt, Heilung ist nicht vorgesehen. Reguläre Arbeit ist uns verboten, stattdessen werden wir in Billigjobs gezwungen. Weder wir noch unsere Kinder können zur Schule gehen, sondern wir sind gezwungen, im Lager zu bleiben, oft jahrelang die Tage mit Essen und Schlafen zu verbringen. Wir werden mit Absicht von der umgebenden Gesellschaft isoliert. Kommt es zu Kontakten reagieren die Menschen oft genug auf uns mit Ablehnung und Ausgrenzung. Wir leben in ständiger Angst vor verbalen und körperlichen Angriffen. Fast jeden Tag wird irgendwer von uns irgendwo in Deutschland verletzt.

Die Residenzpflicht ist wie ein offenes Gefängnis, das uns entrechtet. Wir sind ständigen willkürlichen und demütigenden Polizeikontrollen in ganz Deutschland ausgesetzt. Für uns kommt Bewegungsfreiheit einem kriminellem Akt gleich.

Letztes Jahr im März erhoben wir uns und sagten: „Genug ist genug! Es ist Zeit für Widerstand!“. Und so beschlossen wir, die ungerechten rassistischen Gesetze und Verordnungen nicht länger zu befolgen und uns unsere Rechte als Menschen selber zu nehmen durch Akte des Zivilen Ungehorsams. Wir verließen die Lager, gingen auf die Straße und begannen mit unseren Zelt-Aktionen. Der erste Hungersteik in Würzburg lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf unsere unerträglichen Lebensbedingungen. Die Forderungen konnten nicht durchgesetzt werden, aber wir erfuhren viel Solidarität.

Wir wurden stärker, vereinigten unsere lokalen Aktionen und machten uns auf den Weg von Würzburg nach Berlin, zu Fuß. Das war das erste Mal, dass eine große Gruppe von Geflüchteten und Asylsuchenden bewusst und öffentlich die Lagerpflicht und die Residenzpflicht brachen. Wir besuchten die Flüchtlingslager entlang der Strecke und machten die Isolation der Flüchtlinge in den Lagern öffentlich. Wir luden sie ein, ihre Lager zu verlassen und sich unserem Marsch anzuschließen. Parallel zum „Break-Isolation“-Marsch gab es eine Bustour. Wir wanderten etwa einen Monat 600 km weit nach Berlin. Hier wurden wir von einer großen Solidaritätsbewegung empfangen.

Wo stehen wir heute?
Seit etwa drei Monaten sind wir nun mit unseren Zelten am Oranienplatz in Berlin. Bis zum heutigen Tag haben wir viele Aktionen durchgeführt. Wir haben Demonstrationen mit 700 Teilnehmern in Erfurt, 1000 in Leipzig und 7000 in Berlin organisiert. Wir besetzten Botschaften und Konsulate und führten zwei weitere Hungerstreiks durch. Vor kurzem haben wir eine leerstehende Schule besetzt um Schutz vor dem Winter zu finden und um mehr Flüchtlinge für unseren politischen Kampf zu gewinnen. Während dieser Aktionen wurden wir oft Opfer von Polizeibrutalität und viele unserer Freunde wurden verhaftet.

Unser Freiheitsmarsch war ein großer Erfolg. Das Camp am Oranienplatz wuchs und wächst zu einem Zentrum des Widerstandes. Der Hungerstreik am Brandenburger Tor neben dem Bundestag veranlasste das Parlament (Innenausschuss des Bundestages), sich mit uns zu treffen. Aber im Hinblick auf unsere drei Hauptforderungen sind die notwendigen Schritte noch nicht unternommen worden. Lediglich die Residenzpflicht im Bundesland Hessen wurde abgeschafft.

In diesem Zusammenhang möchten wir unsere starke Unterstützung für den Kampf gegen die Residenzpflicht in Baden-Württemberg erklären. Wir haben es geschafft, rassistischen Maßnahmen, wie die Lager- und Residenzpflicht, die Abschiebungen, das Arbeitsverbot, die Behinderung jeglicher Ausbildung, die Gutscheine etc., all das, was dieses unmenschliche System der Isolation ausmacht, anzuprangern und diese auf die politische Tagesordnung zu setzen.

Heute blicken wir mit Stolz auf das, was wir bisher erreicht haben. Wir wollen allen Flüchtlingen und UnterstützerInnen danken und gratulieren allen für diese unglaublichen Erfolge!
Wir stehen fest zusammen!

Die Zukunft liegt in unserer Hand !
Ja, wir wissen: Es liegt noch viel vor uns!
Alle, die wir hier im Protest Camp leben, brechen weiterhin andauernd und täglich die Residenz- und Lagerpflicht. Mehr und mehr sehen wir uns mit Gerichtsverfahren konfrontiert. Das ist eine Herausforderung an jedeN EinzelneN und an die gesamte Protestbewegung. Wir lassen alle Betroffenen wissen: Du stehst nicht alleine da! Im Gegenteil, wir werden zusammen eine kollektive politische Antwort auf diese Bedrohung finden!

Wir erklären erneut, dass wir fortfahren, alle Gesetze und Richtlinien zu bekämpfen, die unsere Freiheit und Würde verletzen.

Wir rufen alle Flüchtlingen solidarisch auf:
Geht auf die Straßen und fordert Freiheit und Würde!
Wir wiederholen: wir verurteilen aufs Schärfste die Räumung des Protest-Camps in Wien!
Bildet mehr Protest-Camps – überall!

Wir wollen nicht in Lagern leben, die uns isolieren.
Wir wollen frei und selbstbestimmt leben.
Wir wollen nicht die Rechnung für die Kriege und Krisen des Systems zahlen.

Unsere Forderungen sind weiterhin:

  • Residenzpflicht abschaffen!
  • Flüchtlingslager schließen!
  • Abschiebungen stoppen!

Flüchtlinge, die Ihr in dieses Land entkommen seid, wir rufen Euch zu:
Kommt und schließt Euch unserem Kampf und Widerstand an!

Flüchtlinge, die Ihr nach Europa entkommen seid, wir rufen Euch zu:
Auf die Straßen für Freiheit und Würde!

Flüchtlinge, die Ihr gezwungen seid in der Welt herumzuirren, wir rufen Euch zu:
Kämpft für Eure Rechte!